Die Sterne werden fallen Read online

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  »Natürlich, Sir.« Paulsen nickte.

  »Wenn Sie dafür zusätzliches Personal brauchen, zögern Sie nicht, uns das mitzuteilen«, sagte Imogen ernst, und ich bemerkte, wie sie ein Gähnen unterdrückte. Dann sah sie Lucien an. »Kann ich dich dazu bewegen, noch etwas zu schlafen, bis wir mehr wissen? In vier Stunden stehen die Ressortleiter für unsere Krisensitzung auf der Matte, und mir ist es lieber, sie sehen dich ohne Augenringe.«

  Lucien schüttelte den Kopf. »Keine Chance. Die werden mit meinen Augenringen leben müssen.« Dann sah er mich an. »Aber du solltest ins Bett gehen. Du bist gerade erst wieder da und der Tag war bestimmt anstrengend für dich.«

  Er wollte, dass ich schlafen ging, während ReVerse vielleicht ein RTC ausraubte?

  »Ich würde lieber bleiben«, sagte ich und rang um einen neutralen Tonfall. »Ich habe mich den Tag über genug ausgeruht und kann vielleicht helfen. Meine Erfahrungen mit Costards Leuten könnten nützlich sein.«

  »Das ist nett«, lächelte Travere, und etwas daran, wie sie und Paulsen einen Blick wechselten, gefiel mir nicht. »Aber wir kommen schon zurecht.«

  Ich wollte fragen, warum man mich nicht dabeihaben wollte, aber da streckte Lucien die Hand aus. »Komm, Ophelia«, sagte er. »Ich bring dich nach oben. Wir haben hier alles im Griff.«

  Ich sah ihn an und wollte ihm zum ersten Mal überhaupt mit aller Macht widersprechen. Aber trotzdem nahm ich seine Hand und verließ mit ihm das Lagezentrum. Mir folgten Blicke im Nacken und ein ungutes Gefühl. Aber das hatte nicht nur mit Costard zu tun. Mich beschlich die Ahnung, meine Befürchtungen könnten berechtigt gewesen sein: Man wollte mich hier nicht. Und obwohl ich damit gerechnet hatte, tat es weh. Vor allem, weil Lucien sich nicht dagegen zu wehren schien.

  Kaum hatten sich die Türen des Aufzugs geschlossen, lehnte Lucien sich an die Wand und stieß die Luft aus.

  »Tut mir leid, Stunt-Girl«, sagte er. »Ich weiß, ich hätte deine Mithilfe nicht ablehnen sollen. Aber es ist die falsche Zeit für Grundsatzdiskussionen.«

  »Ich wusste nicht, dass ich ein Grundsatz bin«, antwortete ich kühl.

  »Ach nein?« Lucien hob eine Augenbraue. »Du hast doch nicht geglaubt, alle würden dich mit offenen Armen empfangen, oder? Schließlich bist du im November bei ReVerse geblieben, weil du vor genau dieser Ablehnung Angst hattest.«

  Etwas Verletztes in seinem Ton verhinderte eine patzige Antwort von mir. Und die Tatsache, dass er recht hatte. Ich war bei ReVerse geblieben, weil ich Sorge gehabt hatte, seiner Herrschaft zu schaden. Da durfte es mich nicht wundern, wenn andere das auch so sahen.

  »Ich dachte, zumindest du würdest mich mit offenen Armen empfangen«, sagte ich, nun doch etwas patzig.

  »Und das habe ich nicht?« Lucien klang jetzt belustigt, und als ich aufsah, erkannte ich den Hauch eines altbekannten Funkelns in seinen Augen. »Ich erinnere mich daran, dass meine Arme vor ein paar Stunden ziemlich offen waren.«

  Ich verdrehte die Augen. »Das habe ich nicht gemeint.«

  »Ich weiß, was du gemeint hast. Und ich gebe mir alle Mühe, deswegen nicht beleidigt zu sein. Oder stinksauer.« Er war plötzlich wieder ernst. »Wenn es nach mir gegangen wäre, hättest du jeden einzelnen Tag der letzten drei Monate hier verbracht. Aber du hast dich anders entschieden. Also wirf mir jetzt nicht vor, dass ich nicht meinen gesamten Stab von einer Minute auf die andere dazu bringen kann, dir zu vertrauen.«

  Darauf hatte ich nichts zu sagen, aber ich brachte es auch nicht fertig, mich zu entschuldigen. Wir schwiegen, während der Aufzug fuhr.

  »Ich wusste, du würdest das gut machen«, sagte ich dann, weil ich die Stille nicht aushielt und Streit mit Lucien noch weniger. »Aber das war wirklich beeindruckend.«

  Er sah mich fragend an. »Was meinst du damit?«

  »Du als König. Niemand scheint Zweifel daran zu haben, dass du genau weißt, was du tust.«

  Er lachte auf, aber es klang bitter. »Wenn du es sagst«, meinte er nur. Dann dehnte er die Schultern und ließ sie schließlich erschöpft hängen – und in dem Moment sah er so jung aus, wie er tatsächlich war. Ich stieß mich von der Wand ab und umarmte ihn, er erwiderte es und strich über meinen Rücken. Ich versuchte das komische Gefühl in mir wegzudrängen, aber ohne Erfolg. Es hatte nichts mit Luciens körperlicher Nähe zu tun – die hatte den gleichen Effekt auf mich wie eh und je. Aber unsere andere Verbindung, die viel tiefer ging und die jede Trennung und sogar meinen Verrat überlebt hatte, von der spürte ich gerade nur ein schwaches Echo. Und das machte mir Angst.

  Der Aufzug hielt und Lucien ließ mich los. »Du bist müde, oder?«, lächelte er. »Soll ich dich ins Bett tragen?«

  Es war eine Angst, die er nicht bemerkte und die sich deswegen nur noch verstärkte. Lucien hatte einen untrüglichen Instinkt für die Stimmungen anderer Menschen, vor allem für meine. Das war sein Ding. Unser Ding. Wo war es hin?

  »Nein«, erwiderte ich und lächelte gegen die Angst an. »Das schaffe ich schon.«

  9

  Ich wachte in einem leeren Bett auf. Zwar erinnerte ich mich dunkel, dass Lucien irgendwann da gewesen war und mir gesagt hatte, die RTC-Situation sei geklärt worden, aber ich hatte danach weitergeschlafen. Also war ich allein mit meiner Angst aus der letzten Nacht, als ich aufstand, ins Bad ging und mich anzog. Sicherlich hätte ich ein Frühstück ordern können, aber gerade waren mir Luciens Räume ohne ihn zu groß, zu leer und zu still. Außerdem wollte ich Dufort fragen, wo man meine Hilfe brauchte. Ich konnte nicht herumsitzen und nichts tun.

  Wieder waren die Gänge wie ausgestorben, als ich aus der Tür trat und meinen Weg hinunter in die Festung einschlug. Der Aufzug war schon in Sichtweite, als meine Aufmerksamkeit auf etwas anderes gelenkt wurde – den gläsernen Steg, der in den alten Mauerring führte. Ich überlegte nur eine Sekunde, sah mich schnell um und huschte hinüber auf die andere Seite. Dann betrat ich unbemerkt den Korridor mit den leeren Fackelhaltern und dem dicken roten Teppich.

  Was willst du hier?, fragte mich eine leise Stimme in meinem Kopf. Ich hatte keine Antwort darauf. Trotzdem ging ich weiter, bis die schwere, beschlagene Tür in Sicht kam. Heute standen keine Gardisten davor.

  Die Klinke knarrte leise, als ich sie herunterdrückte und die Tür aufschob. Ich hielt die Luft an, ging hindurch und schloss sie, blieb aber mit dem Rücken zum Raum stehen. Innerlich machte ich mich auf eine ganze Armada von Gefühlen gefasst. Dann drehte ich mich um.

  Das Refugium sah genauso aus, wie ich es in Erinnerung hatte. Niemand schien etwas verändert zu haben – der Raum wirkte, als wäre Leopold nur kurz hinausgegangen, um etwas zu erledigen. Bei meinem letzten Besuch war es draußen Nacht gewesen und auch jetzt machte das Zimmer keinen freundlichen Eindruck, dazu waren die Fenster zu klein und das Holz zu dunkel. Aber obwohl es düster und auch kalt in dem ungenutzten Raum war, fühlte ich mich nicht unwohl hier drinnen.

  Ich hatte erwartet, dass ich jenen fatalen Abend wieder durchleben würde. Dass ich, wenn ich auf dem gleichen Teppich stand, wo ich auf Leopold gezielt hatte, wieder das Gewicht der mechanischen Waffe in meiner Hand spüren würde. Dass ich erneut den Schock und dann die Erleichterung in seinen Augen sehen würde. Aber nichts davon geschah. Stattdessen fühlte ich nur Trauer über seinen Tod – und einen eigenartig kummervollen Frieden. Vielleicht war es der Frieden, den er hier immer gesucht hatte.

  Ich ging ein paar Schritte ins Refugium hinein und sah mich um. Das Schachbrett stand auf dem niedrigen Tisch, der bei unserem Gespräch über den PointOut als Abstellfläche für das Teetablett gedient hatte. Und wie bei meinem nächtlichen Attentatsversuch lag der weiße König umgekippt auf der schwarzweißen Fläche. Ich nahm die glatte, kühle Figur aus Marmor in die Hand, drehte sie langsam und spürte das tiefe Bedauern, das sich immer meldete, wenn ich an Leopold dachte. Ich hatte ihn nicht getötet, aber der Versuch wog schwer genug, um mich verantwortlich für seinen Tod zu fühlen.

  Leopold war ein guter Mensch gewesen, ein wahrer König, ein echter Held. Seine Entscheidungen hatten die Welt vor dem be
schützt, was uns jetzt drohte: Unterdrückung und Vernichtung. Gegen die OmnI zu kämpfen war schon jetzt wie ein Krieg zwischen Riese und Ameisen. Aber sobald sie es erst schaffte, an die Energiezentren und die Produktionsstätten zu kommen, war er aussichtslos. Genau wie Leopold es befürchtet hatte, als ihm die Abkehr als Lösung eingefallen war.

  »Es tut mir leid«, sagte ich leise zu dem Foto der drei Geschwister, das unverändert im Regal stand und auf dem Leopold so viel glücklicher wirkte, als ich ihn je erlebt hatte. »Ich würde echt alles dafür geben, dich zurückholen zu können.« Nicht nur wegen Lucien. Sondern auch wegen allen anderen, die Leopold geliebt und nun verloren hatten.

  Die Kälte aus den alten Mauern kroch mir langsam in die Kleidung, und ich stellte die Schachfigur zurück auf das Brett, diesmal stehend in der Mitte. Dann verneigte ich mich leicht vor ihr und ging hinaus, überrascht darüber, dass der große Zusammenbruch ausgeblieben war.

  Und trotzdem: Als ich die Tür hinter mir schloss, hatte ich nicht das Gefühl, als würde ich mir diesen Fehler jemals verzeihen können.

  »Was willst du damit sagen, es gibt keinen Auftrag für mich?«

  Ich stand in Duforts Büro, das mittlerweile im obersten der unterirdischen Geschosse der Festung lag und deutlich größer war als sein letztes. Wir hatten gerade über das wieder sichere RTC gesprochen – ReVerse war tatsächlich dort eingebrochen, aber Schakale und Militär hatten Costards Leute festgesetzt, zumindest den Großteil davon. Momentan versuchte man herauszufinden, wie viel Material ReVerse vorher hatte wegschaffen können – und da hatte ich meine Dienste angeboten. Dass Dufort ablehnen würde, damit hatte ich nicht gerechnet.

  »Genau das, was ich sage. Ich habe momentan keine Aufgabe für dich, Ophelia. Die Schakale sind gerade alle auf Missionen oder im Training, es gibt keine offenen Aufträge. Außerdem bist du gestern erst zurückgekommen. Du solltest nichts überstürzen.« Er lächelte freundlich – und aufgesetzt. Ich schnaubte.

  »Nichts überstürzen? Im Ernst? Glaubst du, ich erkenne nicht, wenn du mir Mist verkaufen willst? Du hast mich schließlich ausgebildet.« Wir lieferten uns ein kurzes Anstarr-Duell, das Dufort leider gewann.

  »Ich kann dich jederzeit anlügen, ohne dass du es merkst«, sagte er dann, und das machte mich noch wütender.

  »Hat Lucien dich etwa gebeten, mich nicht rauszuschicken? Damit ich in Sicherheit bin?«

  »Keineswegs«, sagte Dufort, und sein Blick wurde einige Grad kälter. »Lucien ist zwar sehr daran interessiert, dass du dich nicht in Gefahr bringst. Aber du solltest ihn gut genug kennen, um zu wissen, dass er niemals auf diese Art dafür sorgen würde.«

  Da hatte er recht. Lucien war keiner von diesen Typen, die unter dem Deckmantel des Ich-will-dich-Beschützens übergriffig wurden.

  »Was ist dann das Problem?«, fragte ich.

  »Wir glauben, es wäre nicht gut, wenn du in der nächsten Zeit an Missionen teilnehmen würdest.«

  »Warum nicht? Ich bin topfit und habe bewiesen, dass man mir vertrauen kann.« Bei dem Wort vertrauen sah ich eine winzige Regung in Duforts Gesicht. »Du lässt nach, Caspar«, sagte ich. »Also, was ist es? Willst du mich nicht in der Nähe deiner kostbaren Schakale wissen?«

  Jetzt war er es, der schnaubte. »Unsinn, du bist schließlich selbst einer. Das hat damit nichts zu tun.« Er schien kurz zu hadern, dann neigte er den Kopf. »Versteh das bitte nicht falsch, Ophelia. Aber nicht alle Schakale vertrauen dir, und es wird viel spekuliert, was dein Attentat auf Leopold angeht. Und wenn wir uns etwas im Moment nicht leisten können, dann ist es Unruhe in den Reihen der Leute, die zu hundert Prozent bei der Sache sein müssen.«

  Das sah ich ein, auch wenn ich es zum Kotzen fand, dass man nach den letzten Monaten immer noch glaubte, ich sei der Feind. Wussten die nicht, was ich geleistet hatte, um meinen Fehler zu korrigieren? Hatte ihnen das niemand gesagt oder war es ihnen einfach egal? Wahrscheinlich Letzteres. Einmal Verräter, immer Verräter. Das war schließlich einfacher, als mit jemandem zu reden und sich selbst ein Bild zu machen.

  »Okay«, sagte ich. »Dann gehe ich ins Trainingszentrum. Ich muss schließlich in Form bleiben, falls ihr irgendwann auf die Idee kommt, ich wäre für mehr zu gebrauchen als zu sinnlosem Herumsitzen.«

  Dufort verzog das Gesicht. »Du solltest auch nicht ins Trainingszentrum.«

  Ich verengte erst ein Auge, dann das zweite. »Und warum nicht?«

  »Weil dort genau die Schakale trainieren, die dir nicht alle wohlgesonnen sind. Außerdem sind im Trainingszentrum deine ehemaligen Kollegen, Gaia, Emile … Sie werden bald für ihre erste längere Mission in den Norden versetzt und ich –«

  »Und du was? Machst dir Sorgen, ich könnte ihnen ihr Chi rauben oder was?« Langsam war ich ernsthaft sauer. »Caspar, ich bin eine gute Agentin, okay? Ich habe außergewöhnliche Fähigkeiten, und ich kann sie einsetzen, um beim Kampf gegen die OmnI zu helfen! Warum schiebst du mich aufs Abstellgleis?«

  »Weil ich keine andere Wahl habe!«, hielt Dufort dagegen. »Niemand bezweifelt deine Fähigkeiten, Ophelia, ich als Allerletzter. Du weißt, dass ich trotz deiner Vergangenheit sehr große Stücke auf dich halte. Aber ich bin nicht die anderen, und die vertrauen dir momentan eben noch nicht.«

  »Du bist ihr Boss!« rief ich. »Befiehl es ihnen doch einfach!«

  Dufort warf mir einen langen Blick zu, und ich wusste, dass ich Schwachsinn redete. Mir entfuhr ein Seufzer. »Ich bin durch die Hölle gegangen, um das Richtige zu tun. Ist das nichts wert?« Dufort holte Luft, aber ich kam ihm zuvor. »Nein, sag es nicht.«

  Er hob die Hände und schwieg, was ich ihm hoch anrechnete.

  »Gib ihnen und dir etwas Zeit«, bat er mich dann. »Wir warten, bis eine passende Mission da ist, und dann werden sie erkennen, dass du vertrauenswürdig bist. Aber bis dahin musst du die Füße stillhalten und Lucien hier vor Ort unterstützen.«

  »Ich kann ihn nicht unterstützen, wenn ich nur herumhocke.« Wieder spürte ich die gleiche Angst wie in der letzten Nacht. Sie hatte sich an mir festgebissen und begleitete mich auf Schritt und Tritt. »Geht es ihm gut?«, fragte ich plötzlich. »Kommt er zurecht?«

  Dufort sah auf den Tisch. »Ja«, erwiderte er dann. »Ja, er kommt zurecht.«

  »Aber?«

  »Nichts aber. Es war nicht einfach für ihn in den letzten Monaten, wie du dir sicher denken kannst.« Er sah mich prüfend an. »Warum fragst du das? Habt ihr Probleme?«

  »Keine Ahnung, ich … da gibt es eine Distanz zwischen uns, die … ach, vergiss es.« Der Schakalchef war wohl kaum der Richtige, um meine komischen Gefühle zu besprechen.

  »Auch das braucht Zeit«, sagte Dufort. »Ihr habt euch eine Weile nicht gesehen, das wischt man nicht mal eben so weg.« Er lächelte leicht.

  Ich nickte, ohne es so zu meinen. »Gibt es denn wirklich gar nichts, das ich tun kann? Botengänge oder so etwas? Ich wische auch die Flure oder helfe in der Küche, aber bitte gib mir irgendeine Aufgabe. Ich drehe sonst durch. Kann ich wenigstens Jye überwachen oder so?«

  Er überlegte kurz. »Jye ist bestens betreut, außerdem ist die Gruppe gerade auf dem Weg in den Westen und es gibt noch keine Neuigkeiten. Allerdings –« Dufort hielt kurz inne, dann bat er Eden um den Kontaktaufbau zu Imogen. »Hast du schon mit ihr geredet?«, fragte er die Stabschefin über die EarLinks. Ihre Antwort konnte ich nicht hören. »In Ordnung. Ich schicke Ophelia rüber.« Er beendete die Verbindung, öffnete einen Schrank hinter sich und nahm ein kleines blaues Kästchen heraus, das er mir gab. »Hier, temporäre EarLinks für dich.«

  »Wofür brauche ich die?«

  »Damit wir dich erreichen können.«

  »Wenn ich im Juwel sitze und Däumchen drehe, könnt ihr mich immer erreichen«, sagte ich bockig.

  »Ja, aber was, wenn du nicht dort sitzt? Du wolltest doch eine Aufgabe.« Er reichte mir ein Pad. »Es gibt ein Team, das sich mit der Frage befasst, wie wir die OmnI besiegen können. Es ist eine streng geheime Mission, sie arbeiten im Bunker unter dem See, weil das der am besten abgeschottete Ort in de
r Stadt ist. Wir denken, dein Wissen könnte dort nützlich sein.«

  »Warum hast du das nicht eher gesagt?« Schließlich war ich aufgrund meiner »Verwandtschaft« mit der OmnI wie geschaffen für so ein Projekt. Bisher hatte ich jedoch nicht einmal gewusst, dass es ein Team für diese Aufgabe gab. Nach Leopolds Tod war man davon abgekommen, die OmnI nur finden und wieder unter Verschluss nehmen zu wollen. Der Plan hatte gelautet, den physischen Kern der OmnI zu zerstören – zumindest, solange sie sich noch nicht im Netz breitgemacht hatte. Doch nun arbeitete man wohl noch an einer Alternative.

  Dufort zögerte kurz. »Die Leitung des Teams wollte eigentlich nicht, dass jemand aus den Reihen der Schakale dabei ist. Aber Imogen ist der Ansicht, dass deine Mitarbeit aufgrund der Verbindung zur OmnI unabdingbar ist. Deswegen hat sie mit der Leitung gesprochen, und sie haben sich geeinigt.« Er deutete auf die InterLinks in meiner Hand. »Du wirst dort erwartet.«

  Das klang nicht so, als würde sich diese Teamleitung auf mich freuen. Aber es war besser als nichts.

  »Danke.« Ich nahm die Links entgegen und setzte sie routiniert ein. »Dann lasse ich dich mal allein. Du hast sicher viel zu tun.« Zumindest mehr als ich.

  Die Stadt sah aus wie immer, als ich Zone A verließ und mich in den Altstadtring begab. Es war zwar viel kälter als bei meinem letzten Aufenthalt – die Hänge der umliegenden Berge waren voller Schnee und selbst die entfernte Ruine des Castello sah aus wie in Mehl getaucht –, aber die Geschäfte waren unverändert, genau wie das altmodische Kopfsteinpflaster und die fast völlige Abwesenheit von Technologie. Einzig die Lichterketten über den Läden zeigten, dass hier elektrischer Strom genutzt wurde, ansonsten war es immer noch wie im letzten Jahrtausend. Zum ersten Mal fand ich das auf merkwürdige Art und Weise beruhigend.

  Ich steuerte den Laden für Brot und Kuchen an, um mir vor meinem Besuch im Bunker ein Frühstück zu besorgen, als mir eine Gruppe von Gardisten in ihren schwarzen Uniformen entgegenkam. Sie redeten entspannt miteinander, verstummten aber sofort, sobald sie mich entdeckten. Finstere Blicke streiften mich, zwei von ihnen legten sogar die Hand an die Waffe an ihrer Hüfte. Ich verspannte mich, war aber bemüht, sie nicht anzusehen, sondern einfach weiterzugehen. »Verräterin«, hörte ich einen von ihnen sagen, »Falsche Schlange«, einen anderen. »Bin gespannt, wann sie den neuen König umbringen will«, ätzte die junge Frau ganz links und bekam ein »Na, immerhin wird er vorher noch seinen Spaß haben« als Antwort. Wut stieg in mir hoch, die gerade so die Schmerzhaftigkeit der Worte überdeckte. Am liebsten hätte ich ihnen kräftig die Meinung gegeigt, aber ich wusste, dass so was es nur schlimmer machen würde. Also beschleunigte ich meine Schritte und war froh, als sich die Glastür der Bäckerei mit einem melodischen Klingeln hinter mir schloss.