Die Sterne werden fallen Read online

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  Kurz bevor ich im warmen Wasser einschlief, hievte ich meinen zu Gummi gewordenen Körper heraus, schnappte mir eines der flauschigen Handtücher und wickelte mich darin ein. Dann suchte ich mir Klamotten heraus, zog mich an, kämmte und trocknete meine Haare und stellte im Spiegel fest, dass ich zum Glück immer noch dieselbe zu sein schien. Natürlich hatte mich das letzte Jahr verändert, aber äußerlich war außer dem leichten Gewichtsverlust nichts davon zu erkennen.

  Nachdem ich wieder vorzeigbar war, stand ich unschlüssig im Schlafzimmer herum. Was jetzt? Ein vertrautes Pochen in meinem Kopf erinnerte mich daran, dass ich mir neues HeadLock besorgen musste. Aber das hatte Zeit bis morgen. Ich konnte stattdessen zu Dufort gehen und nachfragen, was bei den Schakalen so anstand. Oder ich konnte mich mit den Berichten der letzten Zeit beschäftigen, um mir ein Bild davon zu machen, wie weit die OmnI mit ihren fatalen Plänen bereits gekommen war. Bei den ReVerse-Teams wurde man zwar irgendwie auf dem Laufenden gehalten, aber Briefings gab es nicht.

  Ich gähnte und das Bett lachte mich plötzlich an, als wäre es das schönste Möbelstück der ganzen Welt. Vielleicht könnte ich mich ja hinlegen, nur ganz kurz? Eine halbe Stunde oder so, bis Lucien da war. Die Berichte würden sicher auf mich warten.

  Als ich wieder aufwachte, war es nicht nur dunkel vor den riesigen Fenstern, es war auch dunkel in Luciens Räumen. Ich schaltete das Licht ein und war sofort hellwach – eine der Nebenwirkungen, wenn man ständig in Alarmbereitschaft sein musste.

  »Eden?«, fragte ich die künstliche Intelligenz, die für die Festung zuständig war. »Wie spät ist es?« Ich musste eine ganze Weile geschlafen haben.

  »Es ist 22:10«, antwortete sie.

  Es war nach zehn Uhr und Lucien immer noch nicht hier? Langsam machte ich mir Sorgen. Nicht um ihn, denn die Festung war sicher. Aber wenn er so lange arbeitete, dann bestimmt nicht aus harmlosen Gründen.

  »Wo befindet sich Lucien de Marais momentan?«, fragte ich weiter und stand auf, um ins Wohnzimmer hinüberzugehen. Das Geschirr von meinem Essen war bereits abgeräumt.

  »Diese Information ist vertraulich. Sicherheitsstufe 10.«

  Ich stockte. »Welche Sicherheitsstufe habe ich?«

  »Ophelia Maxine Scale, Kennung: OS-88651-XX, Sicherheitsstufe 6«, referierte Eden. Offenbar hatte sie ein Upgrade erhalten. Früher hätte sie mich erst einmal gefragt, wer ich überhaupt bin.

  Okay, also Stufe 6. Das reichte nicht, um herauszufinden, wo Lucien sich gerade aufhielt und was zur Hölle ihn daran hinderte, endlich herzukommen. Mir kam eine andere Idee.

  »Eden? Wo befindet sich Imogen Lawson momentan?«

  »Diese Information ist vertraulich. Sicherheitsstufe 9.«

  »Caspar Dufort?«

  »Diese Information ist vertraulich. Sicherheitsstufe 9.«

  »Dann halt nicht«, murrte ich. Musste ich eben auf die altmodische Art nach ihm suchen. Ich ging in den Flur und schnappte mir meine Schuhe, um sie anzuziehen. Aber dann hielt ich inne. Benahm ich mich albern? Lucien würde schon auftauchen. Schließlich waren wir drei Monate getrennt gewesen, und er hatte heute Mittag nicht den Eindruck gemacht, als würde er sich nicht über meine Rückkehr freuen. Oder hatte sich doch etwas verändert? Hatte er –

  Die Tür ging auf.

  »Stunt-Girl? Wo willst du denn hin?« Lucien kam herein und grinste – fast so, wie ich es gewohnt war. Das zu sehen hatte den Effekt von hunderttausend Schaumbädern. Ich konnte nicht anders als meine Arme um ihn zu schlingen und ihn so fest an mich zu drücken, wie es möglich war.

  »Alles okay?«, fragte er leise und seine Stimme sendete warme Wellen durch meinen Körper.

  »Jetzt ja«, antwortete ich, wie so oft, wenn wir uns früher gesehen hatten. »Und bei dir?« Ich ließ ihn los. Er sah erschöpft aus, eine Erschöpfung, die viel tiefer ging als die Schatten unter seinen Augen. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie er sich fühlte. »Gibt es Probleme?«

  Lucien lachte kurz auf. »Es gibt immer Probleme. Und trotzdem ist das heute der beste Tag seit Langem.« Er lächelte mich an, erst liebevoll und dann sehnsüchtig – und ich spürte, wie die Wärme in mir unter seinem Blick ein paar Grad zunahm.

  Meine Arme lagen immer noch um seinen Hals, und ich beugte mich vor, um Lucien zu küssen. Es war kein Hey-schön-dass-du-da-bist-Kuss, sondern eher ein Verdammt-ich-habe-dich-so-sehr-vermisst,-dass-es-mich-fast-umgebracht-hat-Kuss. Luciens Antwort folgte sofort. Obwohl viel Zeit seit dem letzten Mal vergangen war, gab es keine Sekunde des Zögerns, als er seine Arme um mich schlang und mich ebenfalls küsste, als wäre das in diesem Moment das Einzige, was ihn retten könnte.

  Hastig, fast schon grob öffnete ich Luciens Hemd und ließ nur kurz von ihm ab, damit er mir meinen Pullover über den Kopf ziehen konnte. Seine Hände waren warm auf meiner Haut, seine Haut war heiß unter meinen Fingern, und wir beide wussten ganz genau, was wir in diesem Moment wollten. Deutlicher hätte keiner von uns sagen können, dass jetzt keine Zeit zum Reden war. Ich wollte nicht hören, wie übel die Lage in der Welt war, wie sehr Costard und die OmnI uns allen zu schaffen machten und wie düster unsere Zukunft aussah, wenn wir nicht bald einen Weg fanden, um sie aufzuhalten. Ich wollte einfach nur bei Lucien sein, ihn spüren, riechen, fühlen und sicher sein, dass er bei mir war. Sonst nichts.

  Ein schriller Signalton riss mich mitten in der Nacht aus dem Schlaf. Ich schreckte hoch, für einen Moment nicht sicher, wo ich war. Dann erkannte ich die Umrisse von Luciens Schlafzimmer. Ich war seit gestern in Maraisville. Nicht mehr bei Costards Team.

  Der Ton wiederholte sich.

  »Was zur …?« War das ein Alarm? Hinter den Fenstern war es dunkel und ruhig, aber wer wusste schon, auf welche Art die OmnI uns angreifen würde.

  »Das ist nur das Terminal«, sagte Lucien und klang dabei hellwach. War diese schnelle Reaktion noch ein Relikt aus seiner Zeit bei den Schakalen oder hatte er gar nicht geschlafen? Er machte Licht an, strich sich die Locken zurück und berührte kurz meinen Rücken. »Annehmen«, bat er dann Eden.

  »Luc?« Imogen erschien auf dem Screen an der Wand. »Du musst ins Lagezentrum kommen. Sofort.« Die Stabschefin verschwand und das Bild wurde schwarz.

  Lucien stand auf und ging ohne ein weiteres Wort ins Bad. Ich schlang mir die Decke um und folgte ihm.

  »Was bedeutet das?«, fragte ich und sah zu, wie er nach einer Hose und einem Pullover griff, die neben dem Waschbecken lagen. Seine anderen Sachen waren vermutlich noch im Wohnzimmer verstreut, genau wie meine.

  »Nichts Gutes.« Lucien zog den Pulli über den Kopf und band sich die Haare zusammen. »Aber auch nichts allzu Schlimmes, hoffentlich.« Er zeigte den Anflug eines Lächelns.

  »Wie oft kommt es denn vor, dass sie dich nachts ins Lagezentrum zitieren?« Ich hatte nicht einmal gewusst, dass es einen Raum mit diesem Namen überhaupt gab – und kam mir langsam vor wie der unwissendste Mensch in der Stadt. Meine Zeit an vorderster Front des Widerstandes hatte mich so auf Trab gehalten, dass ich von den Vorgängen in Maraisville erschreckend wenig mitbekommen hatte. Allerdings wurde mir das erst jetzt klar.

  »Immer dann, wenn etwas Wichtiges passiert. Die OmnI schläft nachts leider nicht.« Lucien sah mich an. »Geh am besten wieder ins Bett. Man kann nie sagen, wie lange das dauert.«

  »Ins Bett? Auf keinen Fall.« Er glaubte, ich würde mich wieder hinlegen, wenn es irgendeine Krise gab? »Ich komme mit.«

  Lucien zögerte. »Bist du sicher? Das sind meist langatmige Diskussionen, die sich endlos im Kreis drehen. Nicht einmal ich habe Lust darauf.«

  Meine Augen verengten sich. Was dachte er denn? Dass ich kein Interesse an dem hatte, was jetzt sein Leben ausmachte? Dass ich, obwohl ich endlich hier war, nicht an seiner Seite sein wollte? Ein ungutes Gefühl streifte mich wie ein kalter Hauch.

  »Ich wäre trotzdem gerne dabei.«

  »Dann zieh dir am besten was an.« Er deutete auf die umgewickelte Decke und verließ dann den Raum.

  Ich brauchte nicht länger als drei Minuten, um halbweg
s vorzeigbar zu werden, dann waren wir auch schon auf dem Weg hinunter in die Festung.

  Die Gänge im Juwel waren leer und bis auf eine schwache Beleuchtung dunkel, aber unten im Herzstück von Maraisville war es so belebt wie tagsüber.

  Bereits am Aufzug wurden wir von zwei Gardisten empfangen, die uns in den großen Raum begleiteten, wo damals der Einsatz in der Villa Mare besprochen worden war. Der Einsatz, nach dem sich für mich alles geändert hatte. Nur, dass sich der Raum seither noch mehr verändert hatte.

  Das Streifenmuster an der Wand war das gleiche, aber die ansteigenden Sitzreihen waren verschwunden und hatten Platz für Tische gemacht, an denen nun Menschen vor sicher dreißig Terminals saßen. Terminals, die verschiedene Prognosen ausspuckten, Landkarten anzeigten und Live-Bilder der EyeLinks von Soldaten und Agenten. Jetzt wusste ich, warum ich von einem Lagezentrum vorher nie gehört hatte – bis zu Leopolds Tod hatte es keines gegeben. Denn vorher waren wir einem Krieg nicht so nahe gewesen.

  Wir gingen die Stufen herunter und auf Imogen zu, die neben Ilka Saric, Dufort und einem mir unbekannten schwarzhaarigen Mann stand, dessen schmale Statur mich vermuten ließ, dass er nicht zum Militär oder den Schakalen gehörte.

  »Da seid ihr ja.« Imogen, in dieser Nacht nicht in ihrem üblichen Anzug, sondern in Strickpulli und Turnschuhen, sah müde aus, aber vor allem beunruhigt. »Ophelia, das ist Matteo Paulsen«, stellte sie mir den Mann an ihrer Seite vor. »Er ist für die technische Infrastruktur unseres Landes zuständig. Matteo, das ist Ophelia Scale.«

  Ich nickte knapp, aber freundlich. Mehr erwartete man wohl kaum von mir.

  »Was gibt es?« Lucien warf einen prüfenden Blick auf den großen Screen an der Stirnseite des Raumes, der eine Karte von Europa mit diversen roten Zonen zeigte. Ich erkannte in seinen Augen, dass er auf eine schlechte Nachricht gefasst war.

  Paulsen runzelte die Stirn. »Wir wissen noch nicht genau, was es zu bedeuten hat, aber … wir haben vor einer Stunde die Anbindung an das RTC in Madrid verloren.« Ein RTC war ein Center für Ressourcen und Technologie, eines von fünf im Land. Dort wurden Rohstoffe, Nahrungsmittel, Kleidung und funktionsfähige Geräte gelagert, die zur Versorgung der Bevölkerung benötigt wurden. »Ich habe es erst für eine Störung aufgrund der Aktivitäten des Widerstands gehalten«, fuhr Paulsen fort. »Er war in der Umgebung sehr aktiv, um die MerchPoints wieder in Betrieb zu nehmen. Aber eine umfassende Überprüfung hat ergeben, dass die Störung nicht daher rührt.« Er knetete seine Hände. Obwohl er der Chef eines ganzen Heeres von Ingenieuren, Entwicklern und Support-Teams sein musste, wirkte er gerade sehr verloren.

  »Ich warte noch auf die Pointe«, sagte Lucien nüchtern, obwohl er sicherlich ahnte, was das bedeutete.

  »Es wäre möglich, dass ReVerse das Center ganz bewusst entkoppelt hat, um dort einzudringen. Sie schaffen es momentan nicht, der OmnI Zugang zu verschaffen. Aber das bedeutet nicht, dass sie nicht physisch einbrechen und Ressourcen stehlen könnten.« Paulsen sprach leise und zog die Schultern hoch, als erwartete er eine Strafe dafür, dass er es ausgesprochen hatte.

  »Und wie konnte das passieren?«, fragte Lucien weiter. »Wie kann es sein, dass ReVerse Zugriff auf etwas bekommt, das wir in den letzten Monaten zusätzlich hundertfach abgesichert haben? Die RTCs sind die am besten bewachten Orte jenseits dieser Stadt.«

  Seine Stimme klang nicht harsch, aber der Ton ließ keine Ausflüchte zu. Während Paulsen ihm antwortete, versuchte ich, Lucien nicht zu offensichtlich anzustarren. Letzte Nacht hatte ich keine Veränderung an ihm bemerkt – vielleicht war ich auch zu froh gewesen, ihn endlich wieder bei mir zu haben. Aber jetzt wirkte er ganz anders, viel erwachsener, ernster. Sein Blick, sein Tonfall, seine Art, mit den Leuten zu reden, die für ihn arbeiteten – das alles erschien so souverän und kein bisschen unsicher. Ich hatte erwartet, er würde mit seiner Rolle hadern, nachdem ich ihn nach Leopolds Tod so aufgelöst erlebt hatte. Aber das stimmte nicht. Da war kein Flackern in seinen Augen, kein Anzeichen dafür, dass er sich unwohl fühlte oder nicht wusste, was er tun sollte. Und keiner der anderen im Raum schien zu bezweifeln, dass er die Lage im Griff hatte. Ich wusste nicht, ob ich wegen dieses Wandels beeindruckt oder besorgt sein sollte.

  »… können wir jemanden dort erreichen?« Imogens Frage war es, die mich aus meiner Starre riss. Paulsens Antwort hatte ich verpasst. Aber ich konnte sie mir denken – ich wusste, wie die Teams von ReVerse arbeiteten. Offenbar hatte Costard beschlossen, sich nicht nur mit Kraftwerken zu befassen, wenn er auch einen direkten Angriff auf noch viel entscheidendere Ziele starten konnte. Nicht subtil, aber effektiv. Das RTC in Madrid war gut geschützt, allerdings vor allem durch Sicherungen baulicher oder technischer Natur. Es gab nicht viele Wacheinheiten dort, weil das ganze Gebäude ein Bollwerk war.

  »Leider nicht.« Paulsen hob bedauernd die Schultern. »Wir tun unser Möglichstes, aber die üblichen Zugangswege sind komplett blockiert.«

  »Und unsere Informanten?« Imogen sah Dufort an.

  Er schüttelte unzufrieden den Kopf. »Keiner von ihnen hat auch nur ein Flüstern über diese Sache gehört.«

  »Nicht einmal Jye?«, fragte ich. Alle drehten sich zu mir um, als würden sie erst jetzt bemerken, dass ich auch noch da war. »Hat jemand versucht, ihn zu erreichen?«

  Dufort verschränkte die Arme. »Wir hatten zuletzt vor einigen Stunden Kontakt, aber er hat nichts über diese Operation gesagt, also hatte er offenbar keine Informationen darüber.«

  So musste es sein, auch wenn das beunruhigend war. Zwar erfuhr man in den Teams nicht alles, was Costard und die OmnI sonst planten, aber das Plündern eines RTC war so eine große Sache, dass es eigentlich hätte durchsickern müssen.

  »Dann weiß er aber vielleicht jetzt etwas«, beharrte ich. »Wenn ReVerse ein RTC abkoppelt, dann hat sicherlich jemand damit geprahlt.«

  »Oder Ihr kleiner Freund ist nicht loyal.« Ilka Saric sagte es, als wäre das klar gewesen. Ich fuhr zu ihr herum.

  »James Eadon ist der loyalste Mensch, den es gibt«, presste ich hervor. »Er würde niemals einfach so die Seiten wechseln.«

  »Ach nein?« Sie sah mich arrogant an. »Das hat er doch schon einmal getan, oder nicht? Ihnen zuliebe. Nun sind Sie weg und haben ihn dort allein gelassen. Vielleicht hat das seine Meinung geändert.«

  »Er hat nicht meinetwegen die Seite gewechselt! Und er wollte dort bleiben!« Mein Blick ging zu Caspar. Der berührte mich kurz am Arm, als wolle er mir sagen, dass ich keinen Streit vom Zaun brechen solle.

  »An Jye Eadons Integrität gibt es keinen Zweifel«, sagte er mit Nachdruck zu Saric. »Und wir brauchen hier keine Grabenkämpfe.« Seine Stimme war eiskalt, als hätte sie ihn persönlich beleidigt. Irgendwie stimmte das ja auch. Jye war ein Informant der Schakale, und Dufort hatte entschieden, ihn dazu zu machen.

  »Wir sollten ihn wecken«, sagte ich und erwartete, dass er mir zustimmte.

  »Nein, noch nicht.« Dufort wehrte den Vorschlag ab. »Das Team ist nach deinem Verrat an Kovacs mehr als nur aufmerksam. Jye jetzt zu kontaktieren, bringt ihn unnötig in Gefahr. Zumal er im Moment nicht mehr als Gerüchte für uns hätte.«

  Jemand kam auf uns zu, eine Frau um die fünfzig mit einem grauen Bob, strengem Blick und einem energischen Kinn. Ich hatte sie nie persönlich getroffen, erkannte sie aber von Aufnahmen: Es war Jeanne Travere, das Oberhaupt des königlichen Militärs.

  »Jeanne.« Lucien nickte leicht zur Begrüßung. Ich wusste, dass Travere bereits für seinen Vater gearbeitet hatte, damals, als es AchillTechnologies noch gegeben hatte. »Wissen Sie, wie das passieren konnte?«

  »Bisher nicht.« Sie sah ihn ernst an. »Wir haben aber eine Einheit in der Nähe, um nach dem Rechten zu sehen.«

  »Ich auch«, sagte Dufort. »Vielleicht wäre es sinnvoll, wenn die Schakale das übernehmen.« Wie schon früher waren die einzelnen Abteilungen – Militär, Schakale, Garde – sich nicht immer einig. Deswegen richteten sich nun alle Augen auf Lucien. Der atmete ein.

  »Wir schicken beide Einheiten dorthin«, sagte er dann.
»Schakale und Soldaten zusammen, reine Aufklärung, kein Eingriff. Das Kommando hat Dufort. Ich will nicht, dass sich irgendjemand mehr in Gefahr bringt als nötig.«

  »Und was, wenn sich tatsächlich herausstellen sollte, dass Costard in das RTC eingedrungen ist?«, fragte Jeanne Travere.

  Lucien atmete tief ein. »Ich denke, das wissen wir alle.«

  Ich nicht. Aber Imogen brachte Licht ins Dunkel.

  »Du willst es zerstören?« Sie schnappte nach Luft. »Luc, in dem RTC lagern unglaublich wertvolle technologische Komponenten, dazu Rohstoffe und Nahrungsmittel der iberopäischen Halbinsel für die nächsten zwei Monate. Wir werden nicht schnell genug nachliefern können, um die Versorgung dort sicherzustellen.«

  »Das werden wir müssen.« Luciens Blick war starr. »Denn es ist keine Option, dass die OmnI Zugriff darauf bekommt.«

  Ich verstand, was er damit meinte. Die größte Schwäche von Costard waren momentan seine begrenzten Ressourcen. Er hatte vor der Abkehr einiges an Material beiseitegeschafft, aber das war nicht ansatzweise mit dem vergleichbar, was Maraisville zur Verfügung hatte. Und die OmnI mochte die am höchsten entwickelte Intelligenz der Welt sein, aber auch sie konnte keine Waffen, Drohnen, Roboter oder andere Technologie aus bloßer Luft herstellen. Deswegen war es für sie so wichtig, Kontrolle über das Netzwerk und somit auf Kraftwerke und Produktionsstätten zu bekommen – aber Maraisville sorgte dafür, dass dieser Plan schon viel länger ausgebremst wurde als gedacht. Also ging die OmnI jetzt zu anderen Optionen über. Diebstahl, zum Beispiel.

  Imogen und Dufort diskutierten leise mit Travere über die Vorgehensweise, aber sie hörten damit auf, als Lucien Paulsen ansprach.

  »Bitte kümmern Sie sich darum, dass die Stromversorgungszentren in der Nähe des RTC abgeschaltet werden und das auch bleiben. Und finden Sie heraus, wie wir die Energie umleiten können, damit die Leute nicht im Dunkeln sitzen. Wir gehen auf Minimalbetrieb. Nicht, dass die OmnI doch noch Zugriff auf das RTC bekommt.«