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Don't LOVE me (Die Don't Love Me-Reihe 1) (German Edition) Read online

Page 8


  Oben flirrte Staub in den dünnen Strahlen der Sonne, die durch die Ritzen im Gebälk hereinfiel. Ich schob die Tür zum Lager auf und spähte auf der Suche nach dem Hausmeister in den dämmrigen Raum. Es war jedoch nicht Domhnall, der dort zwischen zwei Regalen stand und den prüfenden Blick über die Gegenstände darin schweifen ließ.

  Es war Kenzie.

  Sie hatte mir den Rücken zugewandt, aber ich erkannte sie an den rotbraunen Haaren, die das Licht der schwachen Glühbirne an der Decke reflektierten, und an ihrem auffälligen Tattoo. Sie streckte sich nach etwas, das auf dem obersten Brett lag, und ich starrte für einen Moment auf die nackte Haut, die dadurch an ihrem Rücken zum Vorschein kam. Verschwinde lieber, bevor du auf dumme Gedanken kommst. Ich hörte nicht auf die Stimme in meinem Kopf. Stattdessen trat ich noch einen weiteren Schritt in den Raum hinein, so laut, dass sie es hören musste.

  »Hey, brauchst du vielleicht Hilfe?«, fragte ich.

  Kenzie fuhr erschrocken herum, fing sich aber schnell wieder.

  »Von dir?« Sie sah mich abweisend an. »Nein.«

  »Das sieht aber anders aus.«

  Ihre Augen verengten sich weiter. »Ich bin durchaus in der Lage, einen Ballen Stoff von einem Regal zu holen, vielen Dank.« Sie sagte es bissig und der Hinweis war deutlich: Es war Zeit, den Rückzug anzutreten. Und trotzdem bewegte ich mich nicht vom Fleck.

  Als Kenzie das bemerkte, ließ sie von ihrem Vorhaben ab und verschränkte die Arme. »Sag mal, hast du nichts Besseres zu tun? Ich dachte immer, Snobs wie du machen in ihrer Freizeit so wahnsinnig aufregende Dinge. Golfen zum Beispiel. Mit Supermodels schlafen. Auf niedliche Tiere schießen. Oder Geld zählen.«

  Ich hob eine Augenbraue und unterdrückte ein Lachen. »Jagen und Geldzählen, ernsthaft? Das 20. Jahrhundert hat angerufen, es will seine Klischees zurück.«

  »Ach, dann willst du das etwa leugnen?«

  »Allerdings«, sagte ich und lehnte mich gegen eines der Regale. »Wenn du wüsstest, wie mies ich golfe, würdest du das sofort zurücknehmen. Und ich habe noch nie auf Tiere geschossen oder mein Geld gezählt.«

  »Schade, denn dann wärst du wenigstens bis in alle Ewigkeit beschäftigt«, raunzte sie und ließ keinen Zweifel daran, was sie von Leuten wie mir hielt. Moment mal. War das nicht meine Masche gewesen?

  »Hat da etwa jemand Vorurteile, Miss Bennet?« Der Name der Figur aus Stolz und Vorurteil war mir einfach so in den Sinn gekommen, aber als ich ihn aussprach, sah Kenzie beinahe ertappt aus. Der Ausdruck war jedoch sofort wieder verschwunden.

  »Du hast Jane Austen gelesen?«, fragte sie skeptisch.

  »Ich war in Eton. Natürlich habe ich Jane Austen gelesen.«

  »Und dir gleich Mister Darcy als Vorbild genommen, wie es scheint«, schnaubte sie. Wenn sie diese steile Falte zwischen den Augenbrauen bekam, sah sie wirklich umwerfend aus. »Aber das passt ja. Leute wie ihr müsst andere Menschen offenbar nicht mit Respekt behandeln.«

  Ihr Vorwurf traf mitten ins Ziel. Ich richtete mich auf und sah sie ernst an. »Ich habe das bei Carson’s nicht gesagt, um dir wehzutun, Kenzie.«

  »Ach nein?« Sie schien noch mehr sagen zu wollen, biss dann aber die Zähne aufeinander. Ich ahnte, warum – sie wollte mir nicht zeigen, dass meine Worte sie tatsächlich verletzt hatten. Und das bedeutete, unsere Begegnung hatte sie nicht kaltgelassen. Ein Teil von mir frohlockte darüber … während ein anderer genau wusste, das hier war zum Scheitern verurteilt. Vollkommen zum Scheitern verurteilt.

  »Nein«, sagte ich trotzdem. »Das war nicht meine Absicht. Ich dachte, du würdest nicht hören, was ich zu ihm sage.«

  Kenzie schnaubte wieder, und ich merkte, dass sie meine Worte völlig falsch verstanden hatte. Ich atmete ein, wollte es berichtigen … und stockte. Lass das! Je näher du ihr kommst, desto schwieriger wird es, sie auf Abstand zu halten. Und das musste ich um jeden Preis. Also blieb ich stumm. Und Kenzie trat passenderweise einen Schritt zurück.

  »Vielleicht solltest du dann lieber gehen. Sonst kommt wieder jemand vorbei, und du sagst nochmal etwas, das mich nicht verletzen soll.« Sie verdrehte die Augen, wandte sich ab und ging wieder zu dem Regal, das immer noch viel zu hoch für sie war. Ich wollte mich umdrehen und sie allein lassen, aber als sie sich nach etwas umsah, auf das sie steigen konnte, gab ich mir einen Ruck. Es würde mich nicht in Gefahr bringen, ihr kurz zu helfen.

  Schließlich hatte ich sie erfolgreich daran erinnert, dass ich kein netter Kerl war.

  8

  Kenzie

  Es tat so unglaublich gut, Lyall stehen zu lassen, nachdem er mir erneut die ganze Bandbreite seines einnehmenden Wesens präsentiert hatte. Er hatte also gedacht, ich würde ihn bei Carson’s nicht hören? Das machte es ja so viel besser. Und dann seine Antwort mit den Klischees, als würde ich nicht merken, dass er die Supermodels in seiner Aufzählung ausgelassen hatte. Ja, du bist heiß, ich habe es verstanden. Aber deswegen bist du trotzdem ein Arsch.

  Der Ballen mit Tartan-Stoff, den ich eben für Lyall verlassen hatte, lag immer noch ganz oben auf dem Regal, als ich zu ihm zurückkehrte. Vielleicht konnte ich auf einen der alten Stühle steigen. Oder diese Kommode dort drüben herschieben …

  »Jetzt sei nicht so stur und lass mich dir helfen«, erklang es hinter mir.

  Ich schob bockig das Kinn vor. »Ich sagte doch, ich schaffe das schon.«

  »Wenn dir nicht demnächst zwei Meter lange Arme wachsen, dann wohl eher nicht.« Seine schwarzen Augen musterten mich streng. »Und falls du denkst, du könntest dich auf einen der Stühle stellen – vergiss es. Die sind morsch und halten dich nicht aus.«

  Moment, hatte er gerade gesagt, ich wäre zu schwer? »Und ich dachte, du könntest nicht noch charmanter werden«, sagte ich.

  »Ich muss nicht charmant sein, um dich an einer blöden Idee zu hindern. Du wirst hier nicht verunglücken, während ich in der Nähe bin. Das fällt nur auf mich zurück. Falls es dir entgangen ist, diese Stadt steht nicht besonders auf mich.«

  »Woher das wohl kommt, wo du doch so ein höflicher junger Mann bist«, sagte ich sarkastisch. »Unvorstellbar, dass dich jemand nicht leiden kann.«

  Sein Gesicht verhärtete sich, und ich hatte plötzlich das Gefühl, ihn tatsächlich verletzt zu haben. Aber dann nickte er nur.

  »Wenn du mich einfach kurz helfen lässt, verschwinde ich, und du musst dich nicht mehr mit mir abgeben. Also?«

  Da war etwas Wahres dran, deswegen trat ich einen Schritt zur Seite und gab ihm damit mein Einverständnis.

  »Ich brauche den Ballen dort, den in Folie.«

  Er schob sich zu mir in die Nische und reckte sich nach oben, um den Ballen auf dem obersten Regal zu erreichen. Mein Blick fiel auf die angespannten Muskeln seiner Arme, und ich spürte, wie ungefragt Hitze in mir aufstieg. Wow , spottete ich über mich selbst. Kaum stand ein unhöflicher, aber dummerweise gut aussehender Kerl vor mir, überließ mein Verstand den niederen Instinkten das Feld? Lyall Henderson war in der Tat der Teufel.

  »Hab ihn.« Er zog den Ballen mit einem Ruck vom Regal herunter. Die Plastikfolie war jedoch zu glatt und rutschte ihm plötzlich durch die Finger. Ich streckte die Hände aus, um danach zu greifen, aber das Ding war verflucht schwer und schmierte ab. Lyall packte mich und brachte uns beide aus der Schusslinie, bevor der Ballen neben uns auf den Boden knallte.

  »Hatte ihn«, korrigierte sich Lyall trocken. »Alles okay bei dir?«

  »Ja, klar«, antwortete ich atemlos.

  Ich war ihm sehr nahe, meine Hände lagen auf seinen Armen, ich spürte die warme Haut unter meinen Fingern. In mir wehrte sich etwas dagegen, loszulassen, aber dann nahm ich die Hände herunter. Dabei streiften sie seine und ich hielt die Luft an – aber nicht, weil die Berührung unangenehm war. Im Gegenteil. Meine Fingerspitzen kribbelten, als wären wir beide elektrisch aufgeladen. Ich schaute auf, sah Lyall direkt in seine dunklen Augen …

  … und machte einen Schritt zurück, ohne es bewusst entschieden zu haben. Verdammt. Was war das denn gewesen? Es hatte sich angefühlt, als würde etwas anderes mich steuern, eine Macht, die viel stärker war als meine Vernunft. Ich holte Luft und dräng
te das Gefühl beiseite.

  »Also, das hätte ich auch geschafft«, sagte ich dann und deutete auf den Ballen, der auf den staubigen Holzdielen lag.

  »Nein, hättest du nicht. Schließlich wärst du nie an das Ding herangekommen, um dich dann davon erschlagen zu lassen.« Lyalls Stimme klang belustigt, und als ich aufsah, bemerkte ich, dass, was auch immer ich eben noch in seinen Augen gesehen hatte, verschwunden war. Da ich aber im Moment auch keine Arroganz entdeckte, beschloss ich, ihn nicht gleich wieder zum Teufel jagen zu wollen – sondern seine Muskeln lieber für meine Zwecke zu nutzen. Nein, nicht so.

  »Wo du gerade davon sprichst«, begann ich unschuldig. »Glaubst du, dass du mir den Ballen vielleicht bis ins Büro eures Hausmeisters tragen könntest? Dann kann ich mir dort ein Stück Stoff abschneiden.«

  Er sah mich zweifelnd an. »Dazu musst du in Domhnalls Büro? Hat er die einzige Schere in diesem Gebäude? Wenn ja, muss ich dringend meine Tante fragen, ob das Grand finanzielle Probleme hat.«

  Ich sah ihn an. »Täusche ich mich oder versuchst du nur, dich vor dem Tragen zu drücken?« Dann schlug ich mir in gespielter Erkenntnis vor die Stirn. »Natürlich! Mister Darcy hat für so etwas selbstverständlich Personal. Dumm von mir. Lass den Ballen einfach liegen, ich bitte jemand anderen um Hilfe.«

  »Nicht nötig.« Schon hatte Lyall sich heruntergebeugt und den Stoffballen mit Leichtigkeit auf seine Schulter gewuchtet. »Siehst du, alles bestens.« Dann deutete er zur Tür. »Nach Ihnen, Miss Bennet.«

  »Vielen Dank.« Ich knickste, schritt voran durch die Lagertür und stieg die schmale Treppe hinunter. Lyall, durch die sperrige Last gehandicapt, folgte mir langsamer.

  »Wofür brauchst du den Stoff eigentlich?«, fragte er, während er vorsichtig die steile Stiege hinabkletterte.

  »Für meinen Entwurf. Ich habe beschlossen, ein Moodboard zu erstellen, um deine Tante und Paula zu überzeugen. Skizzen und 3-D-Modelle sind ja nett, aber ich wollte auch etwas zum Anfassen.« Kenzie, könntest du aufhören, so normal mit ihm zu reden? Er ist ein unhöflicher Idiot, schon vergessen? – Er trägt gerade einen mehrere Kilo schweren Stoffballen für mich, also muss ich ihn ja wohl bei Laune halten.

  »Gute Idee«, antwortete Lyall. »Ich weiß zwar nicht, ob man Moira diesen altmodischen Unfug austreiben kann, aber einen Versuch ist es wert.«

  »Dass du von Paulas Entwurf nicht viel hältst, habe ich schon gemerkt«, sagte ich zu Lyall. »Warum? Willst du ihr einfach nur widersprechen, oder meinst du ernst, was du sagst?«

  Er runzelte die Stirn.

  »Ich meine es ernst, ich halte nichts von Stillstand. Natürlich ist das Grand etwas anderes als unsere sonstigen Hotels, aber Moira hat einfach keinen Sinn für Innovation. Sie ist das personifizierte Das-haben-wir-schon-immer-so-gemacht .«

  »Warum arbeitest du dann an dem Projekt mit? Es gibt doch sicher zig andere Neubauten auf der Welt, wo man deinen Sinn für Innovation besser gebrauchen könnte.« Außerdem konnte er sein unvergleichliches Wesen dann woanders zur Verfügung stellen.

  Lyalls entspannter Gesichtsausdruck verschwand und seine Miene verschloss sich augenblicklich. »Ich hatte keine Wahl.« Es klang so düster, dass ich nicht wagte, nachzufragen. Also schwiegen wir.

  Ich bog neben Lyall in den Gang ein, an dem die Suiten mit ihren breiten, doppelflügeligen Holztüren lagen. Wie gerne hätte ich da mal reingeschaut. Die Suiten des Grand waren legendär, ich hatte die Bilder auf der Website genau studiert. Aber es war einfach etwas anderes, die Materialien tatsächlich zu sehen und zu befühlen – oder zu betrachten, wie sie sich im Licht verhielten.

  Lyall musste meinen sehnsüchtigen Blick bemerkt haben, denn er blieb stehen.

  »Du schaust wie ein Kind vor dem Süßigkeitenregal. Was ist?«

  »Ach«, winkte ich ab. »Ich dachte nur daran, dass ich gerne mal in eine der Suiten schauen würde. Sie müssen unglaublich toll ausgestattet sein.«

  Er hob die Schultern. »Geschmackssache, schätze ich. Aber wenn du sie sehen willst …«, er zögerte kurz. »Man hat mich in einer davon einquartiert. Und du wirst es nicht glauben, aber ich habe sogar eine Schere in meiner Suite.«

  »Was, im Ernst?« Ich nickte beeindruckt. »Direkt neben deiner Briefmarkensammlung?«

  Er schüttelte den Kopf. »Nein, sie haben verschiedene Schubladen. Sonst fangen die beiden Streit darüber an, mit wem ich mehr Mädchen rumgekriegt habe.«

  Nun grinste ich, obwohl mir nach wie vor die Worte durch den Kopf geisterten, die er Carson gegenüber geäußert hatte. Aber wenn Lyall so vor mir stand, mit diesem Lächeln im Gesicht, war ich bereit, das für einen Moment zu vergessen. Vor allem, weil er den Schlüssel für eine der Suiten hatte.

  »Gut, du hast gewonnen und darfst deine Muskeln schonen.« Ich nickte gnädig. »Ich muss nur schnell meine Tasche mit den Entwürfen von unten holen, ich habe sie bei Mister Adair im Büro gelassen.«

  »Okay. Dann …« Lyall drehte sich mit dem Ballen auf der Schulter um und deutete den Gang entlang. »Es ist Zimmer 412, das letzte links. Klopf einfach.«

  Ich nickte und machte mich dann auf den Weg ins Erdgeschoss, wo neben der Lobby die Büroräume des Personals lagen. Währenddessen gingen mir die letzten zehn Minuten durch den Kopf. Wie waren Lyall und ich von Arroganz und bissiger Ablehnung zu Klopf einfach gekommen?

  Ich hatte keine Ahnung.

  Aber mit der Aussicht auf Mustertapeten und Polstermöbel interessierte mich das gerade auch nicht.

  9

  Kenzie

  Meine Tasche lag noch dort, wo ich sie gelassen hatte – auf dem Stuhl im Büro des Hausmeisters. Er selbst war nicht da, also schrieb ich ihm einen Zettel, auf dem ich mich bedankte und ihm sagte, dass ich alles gefunden hatte. Danach ging ich zurück zu dem schmucklosen Personalaufzug, in dem ich gemeinsam mit Mister Adair hinaufgefahren war. Als er sich öffnete, waren bereits zwei Zimmermädchen mit ihren Wagen darin. Sie schienen ein paar Jahre älter zu sein als ich.

  »Wo willst du hin?«, fragte die Blonde freundlich.

  »Ganz nach oben, in die Etage mit den Suiten.«

  »Da müssen wir auch hin. Du bist aber kein Gast, oder? Sonst müssten wir dich nämlich rauswerfen, damit du in einem der schicken Aufzüge fährst.« Die andere mit den kurzen dunklen Haaren grinste.

  Ich schüttelte lächelnd den Kopf. »Nein, bin ich nicht. Ich arbeite für die Innendesignerin, die den Neubau ausstattet.«

  »Ah, klar, Paula.« Die Blonde nickte. »Und ich dachte schon, du willst zu Lyall Henderson.«

  Ich bemühte mich, mir nichts anmerken zu lassen. »Wieso sollte ich zu ihm wollen?«

  Die Schwarzhaarige hob die Schultern. »Früher hat er die Mädels immer über den Personalaufzug ins Hotel geschmuggelt. Natürlich erst, nachdem er sich ein unbelegtes Zimmer ausgeguckt hatte.«

  Ich lachte etwas lahm. »Ach ja? Klingt so, als hätte er einiges zu tun gehabt.«

  »Oh ja.« Sie nickte. »Die haben Schlange gestanden für ihn. Obwohl sie genau wussten, dass er nicht länger als ein paar Tage Interesse an ihnen hat. Das ging aber nur so lange gut, bis –«

  »Sei jetzt mal still, Jacky«, sagte die Blonde schnell. »Du weißt, was die Chefin davon hält, wenn wir über ihn reden. Wir wären nicht die Ersten, die wegen so etwas gefeuert werden.«

  Jacky biss sich auf die Lippen und nickte dann. In der nächsten Sekunde stoppte der Aufzug und die Türen glitten auf. Wir waren auf der richtigen Etage angekommen, und die beiden verabschiedeten sich von mir, bevor sie mit ihren Wagen davongingen. Mit gemischten Gefühlen blieb ich zurück. Hatte Lyall mich deswegen in sein Zimmer eingeladen? War dieses Arroganz-Getue seine Tour, um jemanden rumzukriegen? Nein, sicher nicht. Ich hatte selbst gesagt, ich wolle die Suite sehen. Das war vollkommen harmlos. Ach, genau wie dieser Moment vorhin?

  Ich ließ mir Zeit, die richtige Tür zu finden, bevor ich nach links und rechts sah und dann leise klopfte.

  »Hey.« Lyall öffnete. »Komm rein. Ich hatte leider keine Zeit, um aufzuräumen.«

  Ein Scherz, ganz offensichtlich, denn in dem großen Wohnbereich der Suite war es wahnsinnig ordentlich. Zwar sah
man, dass hier jemand lebte – ein Shirt und Jeans lagen über dem Sessel, ein Tablet auf dem Sofa, Armbanduhr und Portemonnaie auf der Konsole neben der Tür, aber sonst war nichts zu sehen. Keine leeren Chipspackungen, Socken, Sportklamotten, Bonbonpapiere oder was ich sonst alles in den Zimmern meiner Schwestern fand. »Haha. Dann lade mich bitte nie ein, wenn es aufgeräumt ist.« Ich stellte meine Tasche ab, um die Einrichtung auf mich wirken zu lassen – als ich von den großen Fensterfronten abgelenkt wurde.

  »Wow, das ist ja der Wahnsinn.« Alleine der Blick war die fast vierstellige Summe wert, die man hinblättern musste, um hier die Nacht zu verbringen. Man konnte über die Parkanlage des Hotels bis zum Loch Lair sehen, der im Licht der Sonne glitzerte. Dahinter erhoben sich die sattgrünen Hügel der Highlands. »Wie kommst du hier überhaupt zum Arbeiten?« Denn dass er das tat, sah man an dem Laptop auf dem Schreibtisch und den zahlreichen Dokumenten drum herum – Ausdrucke von Plänen und Grundrissen, wahrscheinlich vom Neubau.

  Lyall hob die Schultern. »Das ist wie mit allem – man gewöhnt sich daran. Und ich war jeden Sommer hier, also …«

  »Du bist nicht hier aufgewachsen?«, fragte ich und riss mich von der Aussicht los, um stattdessen die hellgrünen Tapeten genauer in Augenschein zu nehmen. Sie passten mit ihren dezenten Ornamenten perfekt zu dem dunklen Holz und den traditionellen Stoffen der Möbel und Vorhänge. Ich fuhr vorsichtig mit den Fingern darüber und spürte die feine Struktur. »Wo dann?«

  Lyall schob die Hände in die Taschen. »Überall und nirgends. Wenn deine Mutter Geschäftsführerin eines Hotelimperiums ist, dann bleibst du nicht lange an einem Ort, sonst siehst du sie nie.« Bedauern machte sich plötzlich auf seinem Gesicht breit. »Oh fuck, tut mir leid.«