Der Himmel wird beben Read online

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  »Er hat recht. Wir sollten auch schlafen gehen.« Jye erhob sich und stellte seine Flasche weg.

  »Das ist nicht alles, oder?« Ich blieb sitzen. Er drehte sich zu mir um.

  »Was meinst du?«

  »Du hast gesagt, dass es Knox wehtut, weil die Gefühle für mich zurückkommen. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit.«

  Jye lachte, aber es klang hohl. »Ach, komm schon, Phee. Du siehst Gespenster.«

  »Weißt du, ich habe eine gute Schule besucht, was halbe Wahrheiten angeht. Die beste, um genau zu sein.« Ich entließ ihn nicht aus meinem Blick. »Was verschweigst du mir?«

  Man konnte sehen, wie Jye kämpfte: Er schaute ratlos im Raum umher, dann presste er die Lippen aufeinander. Schließlich neigte er den Kopf und gab nach. »Ein Restoring braucht etwas, damit es klappt. Einen Anker. Das war der Grund, warum es bei den anderen nicht funktioniert hat.«

  »Einen Anker?«

  »Ja. Derjenige, der das Restoring durchläuft, braucht jemanden an seiner Seite, der ihn gut kennt und ihm hilft, herauszufinden, welche der rekonstruierten Erinnerungen mit welcher Emotion verbunden ist. Deswegen wurde ich für Knox ausgesucht. Sie dachten, sein bester Freund wäre eine gute Wahl.«

  »Aber das warst du nicht?« Mich beschlich eine düstere ­Ahnung.

  »Ich war immerhin nicht die schlechteste. Was die Erinnerungen angeht, war ich sogar ziemlich gut. Ich habe sie für ihn geordnet, ich habe es ausgehalten, wenn er dabei vor Schmerzen geschrien hat oder ohnmächtig geworden ist.« Jye fuhr sich über das Gesicht. »Aber seine Gefühle … wir haben zu spät gemerkt, dass die meisten seiner Gefühle mit dir zu tun hatten.« Er sah mich an. »Du warst diejenige, mit der er sie geteilt hat. Nicht ich.«

  Er sprach es nicht aus, aber ich wusste, was er damit sagen wollte: Du hättest sein Anker sein müssen.

  »Aber ich war nicht da«, sagte ich tonlos. Ich war zu der Zeit in Maraisville gewesen und hatte mich in Lucien verliebt. Ich war glücklich gewesen und hatte meinen Spaß gehabt, während Knox um sein Leben und seinen Verstand gekämpft hatte.

  »Es ist nicht deine Schuld«, wiederholte Jye seine Worte von vorhin.

  Ich sah hoch und Tränen stiegen mir in die Augen.

  »Doch, Jye, glaub mir. Es ist meine Schuld.«

  Als ich bald darauf in mein Zimmer zurückkehrte, stand die Tür offen und die Lampe auf dem Nachttisch brannte. Knox lag auf meinem Bett und hatte die Augen geschlossen. Ich wollte ihn schlafen lassen und leise das Licht löschen, als er sich regte. Fast erwartete ich, dass er wieder schreien würde. Aber sein Blick war klar.

  »Hey«, sagte er und setzte sich auf. »Ich hatte gehofft, dass du noch auftauchst.«

  Ich war froh, dass er mich wiedererkannte. »Du bist in meinem Zimmer. Wo hätte ich sonst auftauchen sollen?«

  »Keine Ahnung. Ich hätte es sogar verstanden, wenn du nach meinem Auftritt den UnderTrans zum Festland genommen hättest, um von hier zu verschwinden.«

  UnderTrans. So nannten sie das Ding also.

  »Sei nicht albern.« Ich setzte mich auf die Kante. »Solltest du nicht besser schlafen?«

  Er schob sich vom Bett und setzte sich neben mich. »Ich konnte nicht. Erst musste ich sehen, ob du in Ordnung bist.«

  »Mach dir keine Sorgen. Du hast mir einen ordentlichen Schrecken eingejagt, aber es ist alles okay.«

  »Es tut mir so leid, Phee.« Er sah mich unglücklich an. »Ich weiß gar nicht mehr genau, was ich gesagt oder getan habe. Aber es war sicher gruselig.«

  Ich dachte an seinen verlorenen Blick und den verzweifelten Kuss. An das Schreien, an das »Verschwinde« und »Ich hasse dich«. Aber nichts davon erwähnte ich. Ich wollte nicht zugeben, wie sehr mich sein Anfall geängstigt hatte.

  »Das warst nicht du, sondern dein dunkler Zwilling. Außer­dem kennst du meine Familie. Ich bin größeres Drama gewohnt.« Der Scherz verfehlte seine Wirkung. Knox’ Blick war dunkel und von Schuldgefühlen verhangen. Er schlang seine Finger umeinander und entknotete sie wieder.

  »Ich hätte es dir sagen sollen, bereits heute Mittag. Aber ich wusste nicht, wie. Ich war so froh, dich zu sehen … Es war der falsche Moment, um davon zu erzählen, dass die Erinnerungen an meine Gefühle manchmal Amok laufen.«

  Vorsichtig legte ich die Hand auf Knox’ Rücken und strich darüber. »Es ist okay. Jye hat es mir erklärt.«

  »Auch das mit …«

  »Dem Anker? Ja.« Scham bohrte sich wie ein brennendes Schwert in meinen Magen. Knox sah mich an, ich wich seinem Blick aus. Aber da legte er seine Finger an meine Wange und zwang mich sanft, ihn anzusehen.

  »Hör auf damit«, sagte er ernst. »Du bist nicht für das verantwortlich, was passiert ist, weder vor ein paar Monaten noch jetzt. Die haben das getan, nicht du. Du darfst dir nicht die Schuld daran geben.«

  »Ich hätte da sein müssen.« Unbeholfen wischte ich mir die Tränen aus den Augen. »Als ich davon erfahren habe, dass du verschwunden bist, hätte ich da sein müssen. Ich hätte dieser Anker sein sollen. Dann wärst du jetzt nicht –«

  »Dann wäre ich immer noch der erste Mensch, bei dem je ein Restoring funktioniert hat.« Er lächelte mich an. »Keiner weiß, welche Folgen es hat – es weiß auch niemand, ob es mit dir besser geklappt hätte. Das sind nur Theorien, Phee. Es sind Modelle und Wahrscheinlichkeiten. Nichts davon darf dich dazu bringen, die Schuld bei dir zu suchen.«

  Es war genau wie früher. Knox hätte mich damals vor dem ganzen Universum beschützt, wenn es möglich gewesen wäre. Vor jedem Leid, jeder Träne und allen Zweifeln, die mich je befallen hatten. Das war nur ein Grund gewesen, warum ich ihn so sehr geliebt hatte. Eine Liebe, die ich in diesem Moment deutlich spüren konnte.

  »Was passiert jetzt?«, fragte ich, nachdem wir beide eine Weile geschwiegen hatten. »Kommen deine Gefühle wieder zurück?«

  »Sie waren nie weg. Ich hatte nur vergessen, dass es sie gibt. Wahrscheinlich dauert es noch ein bisschen, aber das heute war ein Anfang.« Knox sah mich aufrichtig an und ich erkannte in seinen Augen wieder den Menschen, der früher meine Welt gewesen war.

  »Anfang klingt gut.«

  »Ja, das ist es auch.« Zärtlich strich er mir über die Wange und zog mich schließlich in seine Umarmung. Und während wir dort saßen, rührte sich etwas an der Stelle, an der früher mein Herz geschlagen hatte. Es war schwach, kaum spürbar, aber es hatte wieder begonnen sich zu regen. Knox und ich waren eine Einheit gewesen, bevor die Hölle über uns hereingebrochen war. Wir konnten wieder eine werden.

  Und während ich das dachte, reifte in meinem Kopf ein Entschluss. Ich würde uns hier rausbringen, weg aus Europa, weg von all den Kämpfen und dem Hass. Dazu musste ich nur die OmnI in die Finger bekommen, das wertvollste Pfand aller Zeiten. Wenn ich sie hatte, konnte ich einen Tauschhandel eingehen – die gefährlichste künstliche Intelligenz der Welt gegen die Freiheit meiner Familie und die von uns. Dann würden wir verschwinden und ein Leben führen, das diese Bezeichnung auch verdiente. Ohne Technologie, aber mit unseren Erinne­rungen.

  Mit all unseren Erinnerungen.

  8

  »Leute, wir reden jetzt seit einer Stunde darüber. Das führt zu nichts.«

  »Wenn ihr einsehen würdet, dass der nördliche Zugang keine Option ist –«

  »Es ist die einzige Option!«

  »Sagt uns wer – Jye, der Taktikexperte? Im Ernst, das ist nicht dein Fachgebiet.«

  »Aber deins ist es? Dank welcher militärischen Ausbildung, hm?«

  »Warte, Moment. Ich zeig sie dir.« Elodie hielt Jye den Mittelfinger hin.

  »Könntet ihr euch bitte einkriegen?« Knox verdrehte die Augen und sah über den Tisch hinweg zu mir. Ich grinste und hob die Schultern.

  »Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt«, zitierte ich Shakespeare. Die Besprechung war eine kuriose Mischung aus den Abendessen bei meiner Familie und dem Kompetenzgerangel zwischen Haslock und Dufort. Seit einer Stunde sprachen wir über Taktik, Zugänge und Zeitfenster. Die Emotio
nen kochten hoch, jeder war anderer Meinung. Ich hielt mich zurück. In der Woche seit meiner Ankunft hatte ich gelernt, dass man ­Elodie nicht widersprach, bis sie ihr Pulver verschossen hatte. Diese Lektion musste an Jye vorbeigegangen sein.

  »Warum bekommt immer derjenige recht, der am lautesten schreit?«, beschwerte er sich bei Knox. »Sie ist nur die Ablenkung, oder? Seit wann macht die Ablenkung die Pläne?«

  »Das tut sie nicht.« Knox sah Elodie an. »Ich mache die Pläne.«

  »Ha!« Jye streckte ihr die Zunge raus. »Siehst du?«

  »Der nördliche Zugang ist trotzdem keine Option.« Knox warf Jye einen entschuldigenden Blick zu. »Er ist von der Straße aus einsehbar.«

  »Ha!«, wiederholte Elodie Jyes Ausruf. »Ich habe doch gesagt, die Mauer im Süden ist die richtige Wahl.«

  »Die Mauer im Süden wird von Trackern geschützt, Lod.« Knox’ Worte wischten ihr das Lächeln aus dem Gesicht.

  Ich nahm das als Aufruf, mich endlich zu Wort zu melden. »Für mich sieht das so aus, als wäre es das Klügste, wenn wir von Westen kommen.« Ich deutete auf den Plan, der als Projektion über dem Tisch im Besprechungsraum der Zentrale schwebte. »Wenn Elodie das Wachpersonal ablenkt, werden zuerst die beiden Typen an der westlichen Seite weggerufen. Sie ist am nächsten an der Auffahrt, aber auch schwer zugänglich.« Ich zeichnete eine leuchtende Linie in die Projektion. »Die Typen werden in diese Richtung laufen und damit die Flanke zwischen Meer und Pool freimachen. Sobald das geschehen ist, können wir über die Mauer steigen und haben genug Zeit, um ins Haus zu kommen.«

  Tatius, der die meiste Zeit geschwiegen hatte, nickte anerkennend. Knox und Jye schauten mich an, als hätten sie mich noch nie zuvor gesehen. Und Elodie schnaubte, wie so oft.

  »Niemand mag Streber, Scale«, murrte sie.

  Ich zuckte mit den Schultern. »Wenn du eine bessere Idee hast, raus damit.«

  »Es gibt keine bessere Idee. Phee hat völlig recht.« Knox hatte seine Fassung wiedergefunden.

  »Danke.« Ich lächelte. Auch früher war ich kein hübsches Accessoire an seinem Arm gewesen, aber wir hatten uns beide weiterentwickelt. Knox hatte sich immer in der zweiten Reihe wohlgefühlt und war plötzlich ein Anführer mit allen damit einhergehenden Konsequenzen geworden. Und ich? Ich war nun weit mehr als eine kleine Widerstandskämpferin aus Brighton.

  Es lief bei ReVerse ganz gut für mich. In der letzten Woche hatte ich zwar weder Troy noch die OmnI zu Gesicht bekommen, aber bisher war Maraisville nicht so ungeduldig, dass man auf Ergebnisse drängte. Meine EyeLinks gaben mir ab und zu Hinweise, doch meist blieben sie still, so wie jetzt. Der offizielle Plan war, das Vertrauen von ReVerse zu gewinnen und so der OmnI und Troy näher zu kommen. Da sich dieses Ziel mit meinem eigenen deckte, hatte ich keine Probleme – außer der ständigen Überwachung. Aber da sie nicht ewig dauern würde, nahm ich sie hin.

  »Wisst ihr noch, damals in diesem Abbruchhaus in Fields?« Jye war bei alten Geschichten angelangt. »Wir sind eine halbe Stunde durch das Unterholz gerobbt, um dann festzustellen, dass sich dort kein Mensch aufhielt.«

  Knox lachte. »Noch besser war, dass Phee geglaubt hat, wir bräuchten ein Codewort für einen … wie hat sie es genannt?«

  »Einen kontrollierten Abzug«, giggelte Jye und beide prusteten los.

  »Haha«, machte ich. »Sehr witzig. Ich wollte einfach professionell vorgehen, aber das war mit euch Idioten ja nicht drin.« Trotz meiner Worte lachte ich mit. Mir war bewusst, dass unsere Situation ernst war. Aber in Momenten wie diesen fühlte ich mich so, als wären wir drei wieder in Brighton und ein leeres Abbruchhaus unser größtes Problem.

  »Du warst immer die Beste von uns.« Knox lächelte mich an. Etwas verlegen senkte ich den Blick.

  »Das ist nicht wahr«, widersprach ich.

  »Doch, ist es.«

  Elodie stöhnte genervt auf. »Ja, wir wissen es, ihr seid das Traumpaar des Jahres und all dieser rosaflauschige Kitsch-Mist. Aber könnten wir die Provinznostalgie hinter uns lassen und uns um die Mission kümmern? Sonst muss ich mich leider übergeben.«

  Knox sah mich noch einen Moment an, dann hob er die Schultern und konzentrierte sich wieder auf die Pläne. Ich wollte das ebenfalls tun, aber ich konnte meinen Blick nicht sofort von ihm lösen.

  Seit dem erschreckenden Abend nach meiner Ankunft hatte er einen weiteren Anfall gehabt, der war jedoch schneller vorbei gewesen. Aber auch wenn ich immer wieder den alten Knox durchblitzen sah, war es noch nicht wieder wie früher zwischen uns. Manchmal gab es einen Kuss, einmal hatte er bei mir übernachtet, aber es war nichts passiert. Vor allem, weil Maraisville zusah, aber auch, weil es sich nicht richtig anfühlte. Wir mussten uns erst wieder aneinander gewöhnen und tasteten uns dabei langsam voran. Allerdings wäre es einfacher gewesen, wenn ich mich nicht ständig schuldig gefühlt hätte, weil es in Maraisville einen anderen gegeben hatte.

  »Der Safe ist im oberen Stockwerk.« Knox war beim nächsten Punkt. »Costard hat uns das Modell verraten, aber ich werde trotzdem ungefähr acht Minuten brauchen, um ihn zu öffnen.«

  »Wieso sind die Forschungsunterlagen über die OmnI eigentlich in diesem Haus? Costard wohnt doch schon seit Jahren nicht mehr dort.« Jye runzelte die Stirn.

  »Weil er sehr abrupt dort rausgeworfen wurde.« Die Stimme von Exon Costard ließ uns alle zusammenfahren. Unbemerkt hatte er den unterirdischen Raum betreten, der nur durch eine Glastür von der Zentrale getrennt war. Höflich nickte er allen zu und lächelte, als er mich erkannte.

  »Ophelia, wie schön. Ich hörte, dass du hier bist.«

  »Ja, das habe ich über Sie auch gehört.« Er war weniger ge­altert, als ich aus der Ferne gedacht hatte. Seine Haare waren mittlerweile graublond, aber das Gesicht mit dem Dreitagebart war immer noch jugendlich für jemanden, der die 45 überschritten hatte. Das war vermutlich der Vorteil, wenn man ein Genie war – sein brillantes Gehirn hielt ihn jung.

  »An dem Tag, als die Abkehr in Kraft trat, war ich nicht in diesem Haus.« Costard setzte sich auf einen freien Stuhl. »Ich war in meiner Firma, wo man uns von den Holodesks und Arbeits­sta­tio­nen weggeholt hat, um uns wie Verbrecher an der Wand aufzureihen.« Seine Augen sprühten vor Feindseligkeit. »Nachdem man uns jeden Funken Technologie aus dem Körper geholt hatte, haben sie mit dem Gebäude weitergemacht. Sie hatten zwei Hundertschaften an Soldaten dabei, um die OmnI, alle Prototypen und sämtliche Daten mitzunehmen. Als sie das erledigt hatten, war außer ein paar Möbeln und der Pflanze in meinem Büro nichts mehr übrig. Leopold und seine Familie waren schon immer voller Machtgier, korrupt und intrigant. Sie haben mir mein komplettes Lebenswerk genommen, aber glaubt mir – ich werde mich revanchieren. Das wird ihnen noch verdammt leidtun.«

  Unbehaglich sah ich Costard an, dem Hass und Abscheu aus jeder Pore zu dringen schienen. Ihn schien mehr persönliche Rachsucht zu treiben als irgendetwas anderes. Und diese Erkenntnis setzte etwas in mir in Gang. Schon in den letzten Tagen war mir klar geworden, dass es mir nicht möglich war, an keine der beiden Seiten zu glauben. So war ich einfach nicht. Also kämpften in meinem Kopf zwei Stimmen: eine, die der OmnI glaubte – und jene andere, die sich immer häufiger fragte, ob die Ziele von ReVerse noch meine waren. Nur dass die zweifelnde Stimmer immer lauter wurde, je mehr Abstand ich zu dem bekam, was in Maraisville passiert war.

  Natürlich war die Abkehr eine drastische und grausame Angelegenheit gewesen, daran gab es keinen Zweifel. Ich hatte am eigenen Leib erfahren, wie rücksichtslos Leopolds Leute vorgegangen waren. Aber was, wenn es tatsächlich notwendig gewesen war? Was, wenn es uns alle gerettet hatte? Der Schmerz in meiner Brust konnte es nicht vertreiben: das Pochen der Wahrheit, wenn ich an mein Gespräch mit Leopold dachte. Ich hatte ihm nicht deswegen geglaubt, weil ich in seinen Bruder verliebt gewesen war. Ich hatte ihm geglaubt, weil seine Worte mich überzeugt hatten. Es herrscht immer der, der am intelligentesten ist. Und sobald man künstlicher Intelligenz wie der OmnI die Freiheit gibt, wären das nicht mehr die Menschen.

  Und vielleicht hatte auch Duf
ort recht. Vielleicht würde ich bereuen, die Waffe genommen und ins Refugium gegangen zu sein. Vielleicht tat ich das mit jedem Tag, den ich mit den ReVerse-­Tiraden gegen Leopold verbringen musste, ein bisschen mehr.

  Costards Stimme holte mich zurück. »Dieses Haus in der Nähe von Santa Severa war nur einer meiner Wohnsitze. Es wurde nach der Abkehr durchsucht und schließlich beschlagnahmt. Ich hatte dort Kopien von Dokumenten versteckt, damit sie bei einem Angriff auf die Firma nicht verloren gehen.« Das Haus war nach Entfernung der Infrastruktur einem der königlichen Funktionäre übergeben worden. Arturo De Dorigo, verantwortlich für diplomatische Beziehungen zu Südamerika, wohnte dort seit vier Jahren mit seiner Familie.

  Jye räusperte sich und setzte sich aufrecht hin. »Aber wieso wurden die Datenträger nicht gefunden, als man das Haus durchsucht hat?«

  »Sie sind in einem geheimen Seitenfach des Safes.« Costard verschränkte die Hände auf dem Tisch. »Es ist nicht zu entdecken, nicht einmal bei einem XRayScan. Ich gehe davon aus, dass in den letzten sechs Jahren niemand darauf zugegriffen hat. Wenn doch, hat sich der Inhalt automatisch selbst zerstört. Es gibt eine Vorrichtung, die bei Öffnung ohne Autorisation eine Sicherung auslöst.«

  »Etwas, das uns auch passieren könnte.« Knox zog die Stirn in Falten. Er war der beste Dieb, den ich kannte, aber dieser Einbruch war etwas anderes als die Aktionen in Brighton. Trotzdem lächelte ich ihn aufmunternd an. Es gab mehrere Gründe, warum ich ihm den Rücken stärken wollte. Nur einer davon war, dass Troy endlich auf der Insel auftauchen musste, wenn wir diese Daten besorgt hatten. Ich wollte auch, dass es zwischen uns funktionierte, dass wir funktionierten. Knox war meine einzige Hoffnung auf eine Zukunft.

  Wir vervollständigten unseren Plan für die Beschaffung der Daten mit Costards Hilfe, dann löste sich die Besprechung auf. Es waren noch ein paar Stunden, bis wir losfahren würden, deswegen wollte ich letzte Absprachen mit Maraisville treffen. Als ich jedoch auf dem Weg nach oben war, hielt mich jemand auf.

  »Ophelia, hast du eine Minute für mich?« Exon Costard fing mich noch an der Treppe ab.