Die Sterne werden fallen Read online

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  Sie sagte erst nichts, dann hörte ich ein Seufzen. »Einverstanden. Eine Stunde, keine Sekunde länger. Und du lässt die Links aktiv.«

  »Danke.« Ich wandte mich zum Haus, aber dann blieb ich noch einmal stehen. »Oh, Echo? Bitte sag ihm nichts davon, okay?«

  »Er ist der König«, antwortete sie nüchtern. »Das kann ich dir nicht versprechen.«

  »Du hast geschworen, ihn zu beschützen. Ihm nichts davon zu sagen, beschützt ihn.« Ich hatte keine Ahnung, wie oft Lucien im Überwachungsraum war, um sich meine Aufzeichnungen anzusehen. Aber die von heute Abend würde ihn dazu bringen, höchstpersönlich in eine FlightUnit zu steigen und eigenhändig jeden aus dem Team umzubringen, nur damit ich in Sicherheit war. Das durfte auf keinen Fall passieren. Die OmnI sollte keine Gelegenheit bekommen, Lucien zu töten. Seit Leopolds Tod wussten wir alle, wie leicht man eine FlightUnit vom Himmel holen konnte.

  »Eine Stunde, Ophelia«, war Echos einzige Antwort. Dann hörte ich, wie meine EarLinks stumm wurden. Vor Ewigkeiten hatte mir Lucien gesagt, dass man mit der Zeit lernte, den Unterschied wahrzunehmen. Wenn mir damals jemand gesagt hätte, wo ich am heutigen Tag sein würde, hätte ich ihn für verrückt erklärt.

  Ich stieg den Hang zum Haus hinauf, steuerte aber den Seiteneingang an, damit ich noch eine Minute in der Wärme hatte, um mich zu sammeln. Was würde mich drinnen erwarten? Abwartende Stille? Unangenehme Fragen? Ein Erschießungskommando? Ich hatte meine Waffe im Container gelassen. Vielleicht war das ein Fehler gewesen.

  Leise schlich ich durch den Flur in Richtung des großen Wohnbereichs, wo vorhin noch die Party stattgefunden hatte. Stimmen waren zu hören, die sich entspannt unterhielten. Das machte mich mutig genug, aus dem Schatten zu treten.

  »Hey, Scale.« Milan begrüßte mich, als ich hereinkam. »Wir haben gerade über dich gesprochen.«

  Na super. »Ich denke, ich sollte erklären –«, begann ich. Weiter kam ich nicht.

  »Nicht nötig«, winkte unser Teamleader ab und bedachte mich mit einem Blick. Aber der war nicht argwöhnisch oder feindselig, im Gegenteil. Er war bewundernd. Ich sah Jye und Knox an, aber ersterer hob nur die Schultern und letzterer wich mir aus.

  »Nicht?«, fragte ich nach, immer noch auf der Hut.

  »Nein.« Milan lachte. »Odell hat uns alles erklärt. Du bist wirklich ein abgebrühtes Miststück, Ophelia Scale. Dich an den Bruder des Königs ranzumachen, damit du in die Festung kommst? Das ist brillant. Kaltblütig. Aber brillant.«

  Das hatte Knox ihnen erzählt? Diese alte Geschichte, auf die er im Sommer noch so sehr gehofft hatte – dass ich nur deswegen mit Lucien zusammen gewesen sei, um das Attentat auf Leopold verüben zu können? Ich war zwar immer noch sauer auf Knox, aber auch beeindruckt. Offensichtlich hatten Kälte und Erkenntnis ihm schlagartig sein Gehirn zurückgegeben.

  »Vielen Dank«, knickste ich spöttisch. »Aber wieso nicht die Waffen der Frauen nutzen, wenn man sie schon zur Verfügung hat?« Das war ein Spruch, der bei Neandertalern wie Milan Kovacs sicher super ankam. Auch wenn mich dafür jede verstorbene Frauenrechtlerin der Weltgeschichte heimsuchen würde.

  »Vollkommen richtig«, pflichtete Milan mir bei. »Was willst du trinken, Scale? Darauf müssen wir anstoßen!«

  Ich nahm mir ein Bier und ließ die Flasche gegen die der anderen klirren, bevor ich sie an den Mund setzte, ohne etwas zu trinken. Als niemand hinsah, schenkte ich Knox ein schwaches Lächeln und er antwortete mit einem schuldbewussten Nicken. Jye neben ihm sah erleichtert aus.

  Entwarnung?, fragte Echo auf meinen EyeLinks. Ich drehte meine Hand, sah auf meine Finger und dehnte sie leicht, das Zeichen für Ja. Als ich ausatmete, fiel mir die gesamte Festung vom Herzen.

  Das war gerade noch mal gut gegangen.

  5

  In einem richtigen Bett in einem Zimmer ganz für mich allein zu schlafen, war ein Luxus, dessen Bedeutung ich fast vergessen hatte. Ich erwachte am Morgen so erholt, dass ich beschloss, eine Runde Laufen zu gehen. Normalerweise waren die Einsätze Training genug, aber heute war mir nach Bewegung an der frischen Luft, ohne eine Waffe tragen oder den Anweisungen auf meinen EarLinks folgen zu müssen.

  Es war wieder einmal klirrend kalt. Aber die Schneedecke hier in der Gegend war nur dünn, also konnte ich direkt von der Haustür an Tempo machen und mich warmlaufen. Die kleine Stadt, an deren Rand Costards Haus stand, mied ich, stattdessen joggte ich in Richtung der Weinberge auf der anderen Seite. Niemand war unterwegs. Als wäre die Welt über Nacht von all ihren Bewohnern befreit worden.

  Der Abend war glimpflich ausgegangen – zum Glück hatte niemand nach Details meines ach so genialen Plans gefragt. Stattdessen war die Feier noch ein bisschen weitergegangen, man hatte sich anderen Themen zugewandt, und als ich schließlich eines der Zimmer im oberen Stock aufgesucht hatte, fühlte ich mich sicher. So sicher, dass ich nicht einmal Jye gebeten hatte, in meiner Nähe zu bleiben. Zu hundert Prozent traute ich der Truppe nicht, das tat ich nie, aber gestern Nacht hatte ich keine Gefahr gerochen. Und die Tatsache, dass ich nun völlig unversehrt joggte, sagte mir, dass ich damit recht behalten hatte.

  Die vereisten Reben flogen links und rechts an mir vorbei, als ich mich den Hügel hinaufkämpfte und merkte, wie ich endlich wieder frei atmen konnte. Von allen Aufträgen, die ich bisher als Doppelagentin übernommen hatte, war das hier der schwerste. Vor allem wegen des Wettlaufs gegen die Zeit. Die OmnI aufzuhalten kostete all meine Kraft, meine Ausdauer und meinen Willen. Und am Ende wusste ich nicht einmal, ob das reichen würde, um sie zu stoppen.

  Oben auf dem Hügel blieb ich stehen und sah in das Tal. In diesem Moment erlaubte ich mir einen Gedanken an die Zukunft. Wie würde es weitergehen, wenn wir es schafften, diesen übermächtigen Gegner zu besiegen? Dann durfte ich endlich bei Lucien sein. Wärme breitete sich in meiner Magengegend aus, als ich daran dachte, dass es niemanden und nichts mehr geben würde, das uns voneinander fernhielt. Allerdings … Lucien würde trotzdem immer noch König sein. Wie also würde unser Leben aussehen? So wie das von Leopold? Oder würde es so etwas wie Freiheit für uns geben? Einen Schritt nach dem anderen, mahnte der vernünftige Teil in mir. Immer nur einen Schritt nach dem anderen.

  Ich hörte auf den Rat und lief wieder los, zurück zum Anwesen. Noch war die OmnI unser Gegner, noch wussten wir nicht, ob wir sie bezwingen konnten. Über alles andere würde ich mir danach Gedanken machen.

  Costards Haus kam bald in Sicht und ich näherte mich dem Gebäude durch den verschneiten Park auf der Rückseite. Bald würden wir aufbrechen, um meinen letzten Auftrag mit dem Team zu erledigen, bevor Jye und ich der OmnI ein ganzes Stück näher kamen. Und –

  »Hi, Scale.«

  Wie aus dem Nichts trat mir Milan Kovacs in den Weg. Ich bremste ab und rutschte beinahe aus.

  »Hi«, erwiderte ich abwartend. Er musste sich hinter den kahlen Bäumen versteckt haben – oder war ich so in Gedanken gewesen, dass ich ihn nicht bemerkt hatte? »Hast du auch ein bisschen frische Luft tanken wollen?« Ich sagte es fröhlich und maximal harmlos. Denn seine Haltung verriet mir, dass er nicht hier rausgekommen war, um einen kleinen morgendlichen Plausch mit mir zu halten.

  »Nicht ganz.« Er musterte mich von oben bis unten und ein unangenehmes Pochen machte sich in mir breit.

  »Was willst du dann?« Meine Fröhlichkeit war verschwunden, stattdessen legte ich einen drohenden Unterton in meine Stimme. Er sollte nicht glauben, dass er mich einschüchtern konnte.

  Milans Gesicht verzog sich zu einem hässlichen Lächeln. »Nun, vielleicht wollte ich mit dir reden. Über dein Verhältnis zum König.«

  Ich widerstand dem Drang, einen Schritt zurück zu treten. »Ich habe kein Verhältnis zum König.«

  »Ach nein?« Der Blick aus seinen hellen Augen bohrte sich in meine. »Hast du wirklich geglaubt, ich würde Odell diese Story abkaufen? Dass du dich kaltblütig an Lucien de Marais herangemacht hast, um den König töten zu können? Ich bitte dich, Scale. Du bist wie alt, 18, 19? Und ein Mädchen.« Er sagte es, als wäre es ein Schimpfwort. »Sich
erlich bist du mit den besten Absichten nach Maraisville gekommen. Mit hohen Zielen und dem Clearing deiner großen Liebe im Rücken. Nur dass die dann gar nicht mehr so groß war, als dir jemand anders über den Weg lief, richtig? Jemand mit einem hübschen Gesicht und direktem Draht zum mächtigsten Mann des Landes. Bestimmt bist du umgeknickt wie ein Grashalm im Wind.«

  »Halt den Mund«, zischte ich. »Du weißt rein gar nichts über mich.«

  »Ich weiß alles über Menschen wie dich. Menschen, die wegen ein bisschen Zuneigung ihre Ideale verraten. Die sich verlieben und mit dem Feind ins Bett gehen, wenn sie eigentlich einen Job erledigen sollen. Du bist schwach, Scale. Das ist es, was du bist.«

  Genau das hatte Troy auch zu mir gesagt. Aber schon damals hatten mich diese Worte nicht verletzt. »Ja, vielleicht«, sagte ich kalt. »Vielleicht bin ich schwach, weil ich etwas fühle. Aber weißt du, was? Ich gebe einen Scheiß auf deine Meinung über mich.« Ich wollte an ihm vorbei, aber er stellte sich mir in den Weg.

  »Ich bin noch nicht fertig mit dir.«

  »Was willst du denn noch? Ich glaube, du hast mich für heute genug beleidigt.« Aber immerhin hatte er mich nur als schwaches Mädchen bezeichnet und war nicht auf die Idee gekommen, dass ich nach wie vor auf der anderen Seite stand. Ich sollte das als positiv verbuchen. Und schnell verschwinden, bevor er auf gefährlichere Gedanken kam.

  »Beleidigt? Nein. Ich habe endlich aufgedeckt, was du hier wirklich treibst.«

  Angst kroch mir über den Rücken. Ich ignorierte sie und trat einen Schritt auf Milan zu. »Lass mich vorbei oder du wirst es bereuen.«

  »Oh, wirklich? Na, da bin ich ja gespannt.« Er fixierte mich mit einem tödlichen Blick. »Es ist vorbei, Scale. Das war dein letzter Tag in diesem Team. Was immer du für ein Spiel spielst, es endet genau jetzt.«

  »Das hast du nicht zu entscheiden. Costard –«

  »Ist nicht hier«, unterbrach er mich. »Und ich habe nicht vor, die offizielle Befehlskette einzuhalten.« Er zog etwas aus dem hinteren Hosenbund. Ich erstarrte. Eine Waffe mit Schalldämpfer.

  Ich hob automatisch die Hände, während mir Adrenalin in die Adern fuhr. Milan jetzt zu provozieren oder anzugreifen wäre Selbstmord.

  »Zeit für die Wahrheit, Ophelia.« Milans Augen leuchteten auf diese fanatische Art, die ich bisher nur an ihm gesehen hatte, wenn er Lucien einen grausamen Tod an den Hals wünschte. »Bist du immer noch im Team des Königs? Spionierst du uns für deinen Liebsten aus? Manipulierst unsere Einsätze? Gibst den Schakalen die Infos, wo wir als Nächstes zuschlagen werden?« Er wurde immer lauter. »Hat deswegen die OmnI noch keinen Zugriff auf die Versorgungszentren? Weil du uns die ganze Zeit verraten hast?!«

  Ich antwortete nicht. Er hob die Waffe und schoss neben mir in den Schnee. Ich zuckte zusammen. »Das ist Schwachsinn!«, rief ich. »Seit ich Maraisville verlassen habe, gibt es für mich nichts anderes als ReVerse!«

  »Du lügst!«, schrie mich Kovacs an. Das war gut. Vielleicht hörte Jye ihn und kam hierher. Meine Links konnte ich jetzt nicht aktivieren. Kovacs kannte das Blinzeln zu gut. »Du lügst, sobald du den Mund aufmachst! Aber ich werde die Wahrheit aus dir rauskriegen, verlass dich drauf. Das ist meine Spezialität.« Er kam näher, und ich konnte nicht weiter zurückweichen, weil mich ein Baum in meinem Rücken bremste. Mein Blick zuckte zum Haus.

  »Niemand wird kommen und dich retten, Schätzchen«, höhnte Kovacs und hielt mir die Waffe direkt vor das Gesicht. »Also rück lieber mit der Wahrheit raus, dann geht es ganz schnell.«

  »Ich sage die Wahrheit«, presste ich hervor. Schweiß lief mir über den Rücken. Ich musste Kovacs etwas geben, damit er mich gehen ließ. »Ja, ich habe mich in Lucien de Marais verliebt. Aber er hatte nie Gefühle für mich. Er hat mich verraten, auf die übelste, abscheulichste Weise, und nun habe ich nichts anderes im Sinn, als ihn zu Fall zu bringen!«

  Milans Blick flackerte, er überlegte, ob er mir glauben sollte. Ich hoffte für einen Augenblick, dann für einen zweiten. Aber da schüttelte er den Kopf.

  »Schöne Story. Nur nehme ich sie dir nicht ab. Wir hatten zu viele Fehlschläge in letzter Zeit, das kann kein Zufall sein.« Er drückte den Lauf der Waffe gegen meine Schläfe. »Aber hey, du wirst deinen Lover bald wiedersehen. Denn nicht mehr lange und ich werde höchstpersönlich nach Maraisville marschieren und Lucien de Marais töten. Bei ihm mache ich es allerdings nicht kurz und schmerzlos.«

  Ich hielt die Luft an und wusste, es gab nur zwei Möglichkeiten: fliehen oder ihn töten. Die dritte war, mich erschießen zu lassen. Aber die kam aus verständlichen Gründen erst ganz unten auf der Liste.

  Milan verlagerte kurz sein Gewicht auf dem vereisten Boden und ich sah meine Chance. Mit dem Mut der Verzweifelten griff ich nach dem Lauf der Waffe und drückte sie blitzschnell weg. Ein Schuss löste sich und traf den Baum. Kovacs knurrte mich wütend an und versuchte, die Waffe meinem Griff zu entreißen. Ich hielt fest, so gut ich konnte, wir rangen, seine Finger gefährlich nah am Abzug, meine am Lauf. Kovacs machte eine Hand frei, stieß mich damit weg, ich musste loslassen, um nicht hinzufallen. Schnell duckte ich mich und rammte ihm meine Schulter in den Bauch. Kovacs konnte die Waffe nicht festhalten, sie flog ein paar Meter entfernt in den Schnee. Ich versuchte nicht, sie zu holen, sondern nutzte den Moment und holte aus. Der Tritt traf Kovacs in den Unterleib, er krümmte sich keuchend zusammen. Aber damit war er nicht besiegt.

  Er ging auf mich los wie ein Stier, riss mich mit sich zu Boden und hieb auf mich ein, als wäre ich ein Sandsack. Ich spannte meine Muskeln an, um die Schläge abzufedern, und wehrte mich mit allem, was ich hatte: Fäuste, Knie, Beine, Füße. Eisiger Schnee kroch mir in die Kleidung und schmolz dort, aber zum ersten Mal seit Wochen spürte ich die Kälte kaum. Ich wusste, ich musste diesen Kampf gewinnen. Wenn ich das nicht schaffte, war ich tot.

  Kovacs war ein Söldner, zäh und ausdauernd. Aber ich stand ihm da in nichts nach. Ich war weniger kräftig, aber ich wusste genau, wo ich treffen musste, wie ich ausweichen musste, wie ich seine Schläge abfangen konnte, um nicht die volle Wucht zu spüren. Und dann war er kurz unaufmerksam, verlor den Fokus auf mich – und ich erkannte die Gelegenheit. In der nächsten Sekunde hatte ich ihm die Arme auf den Rücken verdreht und bohrte ihm das Knie zwischen die Schulterblätter.

  »Gar nicht schlecht für ein Mädchen, oder?«, sagte ich abfällig.

  »Und jetzt, Scale?«, lachte er und spuckte Blut in den Schnee. »Willst du so bleiben, bis es dunkel wird? Oder möchtest du mich vielleicht mit bloßen Händen erwürgen?«

  Was er sagte, war leider nicht das hohle Gerede eines Besiegten: Die Waffe lag so weit entfernt, dass ich ihn loslassen müsste, um sie zu holen. Aber wenn ich das tat, würde er mich überwältigen. Und um ihn zu erwürgen, fehlte mir nicht nur die Kraft, sondern auch die Skrupellosigkeit. Ich sah mich um. Sollte ich auf Jye hoffen? Darauf, dass er irgendwann kommen würde, um mich zu suchen? Konnte ich ihn rufen? Nicht, ohne dass der Rest des Teams es hört.

  Ich überlegte zu lange und Kovacs nutzte das aus. Er warf sich herum, stieß mich von sich und erwischte mich mit einem harten Schlag im Gesicht. Kurz verschwamm das Bild und ich stöhnte vor Schmerz auf. Dann tat das Adrenalin seinen Dienst.

  Zuletzt hatte ich mit Troy so gekämpft – auf Leben und Tod, mit der Gewissheit grenzenlosen Hasses zwischen uns. Damals hatte er mich geschlagen und am Ende hatte ich ihn trotzdem besiegt. Würde das heute auch so sein?

  Ich drehte mich, sprang hoch, um Kovacs mit voller Wucht zu treffen, schlug zurück. Als ich aufkam, spürte ich, wie mein Knöchel auf etwas Hartes trat, wie ich umknickte, ausrutschte, in den Schnee fiel. Kovacs verlor keine Sekunde. Er packte mich an den Haaren, riss mich hoch und drückte mich an einen Baum. Ich spürte etwas Kaltes an meinem Hals. Ein Messer.

  »Endstation, Scale. Für immer und ewig.«

  Die Klinge stach in meinen Hals, ein scharfer Schmerz schoss in meinen Kopf, ich starrte in seine hasserfüllten Augen. Aber plötzlich war da ein Knacken, ein Rascheln und ein hohles Klacken. Im nächsten Moment w
urde Kovacs’ Blick erst überrascht, dann leer. Als er zu Boden stürzte, ließ er das Messer los. Es fiel blutverschmiert in den zertrampelten Schnee.

  Ich sah hoch.

  Vier Personen standen vor mir, schwarz gekleidet, mit Masken über den Gesichtern. Noch bevor ich etwas sagen oder denken konnte, zog einer von ihnen die Sturmhaube vom Kopf.

  »Du?« Ich starrte ihn an.

  »Ja, ich. Und in letzter Sekunde, wie es aussieht.« Caspar Dufort trat vor und beugte sich über Milan Kovacs, der reglos am Boden lag.

  »Ist er …?«, fragte ich.

  »Er ist tot.« Caspar erklärte nicht, warum er den Teamleader nicht einfach nur betäubt hatte. Ich kannte die Antwort auch so. Seit Aurora Lehair in der Lage war, die Wirkung des Clearing-Serums rückgängig zu machen, vermied Maraisville trotz der neuen Formel Gefangennahmen. Außerdem brauchten Betäubungsprojektile eine oder zwei Sekunden, bis sie wirkten. Bis dahin hätte Kovacs mir längst den Hals aufgeschlitzt.

  Mein Hals. Ich griff mir an die Kehle und spürte warmes Blut, das aus dem Schnitt quoll. Meine Knie wurden weich.

  »Hey, bleib da.« Dufort packte meinen Arm und drückte mir einen SubDerm-Injektor an den Hals.

  »Was machst du hier?«, fragte ich, während das Healing-Serum in meine Blutbahn gepresst wurde. Meine Hände zitterten. Ich ballte sie zu Fäusten, aber das hielt sie nicht davon ab. So knapp war ich dem Tod noch nie entkommen, nicht einmal im Zweikampf mit Troy.

  »Wir waren seit gestern Abend in Bereitschaft.« Dufort bestückte den Injektor mit einem anderen Serum und presste ihn mir an die unverletzte Halsseite. Sofort merkte ich, wie das Zittern verschwand und ich wieder stabiler auf meinen Füßen stand.

  »Bereitschaft? Wegen Knox?«

  Er nickte und wies die anderen Schakale mit kurzen Worten an, die Umgebung zu sichern. Sie nickten und verschwanden zwischen den Bäumen.