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Don't LOVE me (Die Don't Love Me-Reihe 1) (German Edition) Read online

Page 4


  »Ich bin Kenzie«, sagte ich, um den Moment zu überspielen, und streckte die Hand aus. »Die Älteste von uns vieren.«

  »Und ich bin Eoghan Carson. Es freut mich sehr, Kenzie.« Er schüttelte meine Hand. »Bleibst du länger oder bist du auf der Durchreise?« Durch das Fenster deutete er auf Loki, der einsam auf dem Parkplatz stand.

  »Ich bleibe über den Sommer und mache ein Praktikum bei Paula McCoy.«

  »Oh, Paula, natürlich. Sie ist die Beste.« Er nickte mit Nachdruck. »Wenn du in der Zeit hier irgendetwas brauchst, dann melde dich, okay? Meine Frau und ich sind eigentlich immer im Laden.«

  »Das ist echt lieb von Ihnen, vielen Dank.« Ich lächelte ihn an. Das war doch kein schlechter Einstieg in dieses Abenteuer. Ich hatte sogar die erste Frage nach meiner Mutter halbwegs unbeschadet überstanden. Und vielleicht erinnerten sich ja gar nicht so viele hier an sie.

  Die Tür schwang auf und jemand kam herein, deswegen ließ Mister Carson mich allein und ging nach vorne. Ich atmete tief ein, schob die Trauer beiseite, und machte mich dann daran, die schwierige Entscheidung zwischen Schokocreme und Marmelade zu treffen.

  3

  Lyall

  Der Wagen wurde langsamer. Ich hatte den Fuß zwar nicht bewusst vom Gaspedal genommen, aber etwas in mir schien verhindern zu wollen, dass ich weiterfuhr. Ich hörte darauf, hielt am Rand des Grünstreifens und legte die Arme auf das Lenkrad. Regen prasselte auf das Glas der Windschutzscheibe und verschleierte mir die Sicht auf die Bäume dort draußen. Außer mir war niemand auf der Straße.

  Hier war ich also wieder. Die gleiche Stadt, die gleichen Menschen, das gleiche Wetter wie vor drei Jahren. Aber diesmal schrie alles in meinem Kopf mich an, umzudrehen und zurück zum Flughafen zu fahren. Oder zumindest in eine andere Stadt als diese hier. Irgendeine Stadt, in der mich nicht jeder einzelne Bewohner hasste.

  Besuchen Sie Kilmore , verhöhnte mich das Schild an der Straße, die letzte Zuflucht vor den Toren der Highlands.

  Die letzte Zuflucht? Ich lachte trocken. Für mich war es wohl eher der letzte Kreis der Hölle. Und ich musste hindurch, wenn meine Zukunft nicht ein schwarzes Loch sein sollte.

  Ein Klingeln brachte mich dazu, meine Starre aufzugeben. Ich griff nach dem Handy und nahm den Anruf an.

  »Lyall?«, ertönte die Stimme meiner Tante Moira. »Bist du schon auf dem Weg hierher?«

  »Sozusagen«, antwortete ich vage. Schließlich wusste ich nicht, wie lange ich noch an der Straße stehen und darüber nachdenken wollte, wieder umzudrehen. Was genau genommen der einzige Grund gewesen war, warum ich selbst fahren und mich nicht vom Fahrer des Hotels hatte abholen lassen wollen. Dieser simple, nach Lavendel-Duftbaum riechende Mietwagen mit dem Lenkrad auf der falschen Seite war alles, was mir das Gefühl gab, nicht komplett ausgeliefert zu sein.

  »Dann hol doch bitte bei Carson noch unsere Bestellung für morgen ab«, sagte Moira. »Er hat alles vorbereitet und weiß Bescheid.«

  »Carson? Ist das dein Ernst?« Schließlich hatte ich darauf gehofft, dem fackeltragenden Mob erst in ein paar Tagen begegnen zu müssen – und mich vorher im Grand zu verkriechen.

  »Mein voller Ernst. Je eher die Leute merken, dass du nicht mehr der Gleiche bist wie vor drei Jahren, desto schneller kehrt Normalität ein.«

  Beinahe hätte ich gelacht. Normalität. In Kilmore. In Bezug auf mich. Moira musste den Verstand verloren haben.

  Trotzdem gab ich klein bei. Schließlich hatte ich keine Wahl. »In Ordnung. Ich fahre dort vorbei.«

  »Gut. Er soll dir die Rechnung mitgeben. Oh, und Lyall? Leg diesen Akzent ab, solange du hier bist. Es hilft wohl kaum bei deinem Vorhaben, wenn du klingst wie ein US-Amerikaner.«

  Ich biss die Zähne aufeinander. Am liebsten hätte ich ihr gesagt, dass ich nun mal seit drei Jahren in Chicago lebte und sie sich den verdammten schottischen Akzent sonst wo hinschieben konnte, aber ich hielt mich zurück. Das war schließlich meine Aufgabe für die nächsten acht Wochen.

  Tief atmete ich ein.

  »Ist es besser so?«, fragte ich meine Tante dann in breitestem Schottisch.

  »Viel besser.« Moira ließ sich nicht von mir provozieren. »Bis später. Fahr vorsichtig.« Ein melodisches Geräusch sagte mir, dass sie das Gespräch beendet hatte.

  Nur eine halbe Minute später fuhr ich auf den Parkplatz von Carson’s Supermarkt . Er lag etwas außerhalb der Innenstadt, war aber der einzige Laden für Lebensmittel in Kilmore. Um diese Zeit allerdings – es war schon nach acht – waren die meisten Leute längst zu Hause.

  Gut für mich.

  Ich parkte neben dem einzigen anderen Auto – einem dieser Campervans, mit denen jetzt jeder herumfuhr, der jung und hip sein wollte und eine Allergie gegen Komfort hatte. Das nachtblaue Modell wirkte recht neu und modern, mit Blenden aus Chrom und silbernen Felgen. Aber das täuschte nicht darüber hinweg, dass diese Dinger furchtbar eng waren und man die Sitzgruppe am Abend zum Bett umbauen musste. Keine zehn Pferde hätten mich dazu gebracht, in so einem Teil zu übernachten. Da konnte man sich ja gleich auf den Parkplatz legen.

  Ich wappnete mich innerlich, dann stieg ich aus und ging zur Tür des Ladens. Dahinter roch es genauso, wie ich es in Erinnerung hatte: nach Obst, der erdigen Note von Kartoffeln und irgendeinem Putzmittel, das Carson nach Ladenschluss wohl eimerweise auf den Fußboden leerte, damit der Geruch um diese Uhrzeit immer noch in der Luft hing.

  Als ich an den Tresen trat, der sich neben den Kassen befand, kam Carson höchstpersönlich aus dem Verkaufsraum. Sein Gesichtsausdruck war freundlich, zumindest für drei Sekunden. Dann erkannte er mich. Sofort hoben sich die buschigen Brauen, bevor sie sich zusammenzogen.

  »Lyall Henderson«, knurrte er. »Was willst du denn hier?«

  »Ich soll die Bestellung für meine Tante Moira abholen«, sagte ich in dem harmlosesten Tonfall, den ich zustande brachte. Es half nichts.

  »Nicht, was du in meinem Laden willst. Sondern hier in der Stadt.«

  Oh, was hätte ich jetzt ausholen können. Vom Familienrat, der meinetwegen mehrfach getagt hatte. Von den heftigen Diskussionen, die dabei geführt worden waren. Oder von meiner Großmutter, die verlangt hatte, dass ich nach Kilmore kam und meinen Ruf wiederherstellte. Es kann nicht sein, dass der Junge am Stammsitz unserer Familie eine persona non grata ist , hatte sie gewettert. Und da Grandma nicht die Sorte Oma war, die Kekse backte und ihren Enkeln einen Zehner zusteckte – sondern die Sorte, die ein Milliarden-Hotelimperium unter ihrer Fuchtel hatte und unsere Treuhandfonds verwaltete, hatten alle eingewilligt. Sogar ich. Schließlich hatte ich einen Plan, der weit über das hier hinausging. Der, wenn er funktionierte, die Machtverhältnisse in unserer Familie umkehren würde. Seit zwei Jahren arbeitete ich daran. Kilmore würde mich nicht davon abhalten, ihn umzusetzen, und ein unfreundlicher Supermarktbesitzer erst recht nicht.

  »Ich bin über den Sommer hier«, zwangsverpflichtet worden , »zu Gast.« Mit etwas Mühe schaffte ich ein Lächeln, das Carson aber nur noch misstrauischer machte.

  »Zu Gast?«

  »Ja, richtig.«

  Carson knurrte wieder. »Ich schwöre dir, wenn du auch nur eine meiner Töchter schief anschaust«, sagte er drohend. »Dann mache ich Gulasch aus dir, ganz egal, wer deine Familie ist. Verstanden?«

  Ich sparte mir den Hinweis, dass keine seiner Töchter auch nur ansatzweise mein Interesse erregen konnte – geschweige denn irgendwas anderes – und nickte nur artig. »Natürlich, Sir.« Gar nicht so schlecht. Das jetzt noch ungefähr sechzig weitere Tage, und es ist vorbei.

  »Ich hole die Sachen für Mrs Henderson.« Carson wandte sich ab und verschwand im Lager hinter der Tür. Ich wartete nicht an der Theke, sondern ging in Richtung der Regale. Es hatte sich wirklich nichts verändert: Die Schokoriegel, die wir damals in Massen gekauft hatten, lagen an der gleichen Stelle wie früher, und die Getränke waren immer noch in den ratternden Energieklasse-Z-Kühlschränken untergebracht, wie in meinem ersten Sommer. Man hätte dennoch meinen können, dass es sich anders anfühlen musste, wieder durch diese Gänge zu laufen. Ich hatte gedacht, es wäre leichter, hier zu sein. Aber ich spürte die
gleiche Schwere wie beim letzten Mal, als ich auf Kilmores Boden gestanden hatte. Als wäre kein Tag dieser drei Jahre vergangen.

  »Hey«, machte jemand rechts von mir. Ich war so in Gedanken gewesen, dass ich gar nicht gemerkt hatte, wer noch im Laden war. »Na, wie schlecht war dein Tag auf einer Skala von Cola bis Whiskey?«

  Ich drehte mich um und sah ein Mädchen vor mir stehen. Ein Mädchen mit karamellbraunen Augen, die einen Farbton heller waren als ihre rotbraunen, schulterlangen, welligen Haare. Ein Lächeln lag auf ihren Lippen, ihre Hände steckten in engen Jeans, das schwarze Top war halb unter einer dunklen Sweatjacke verborgen. Ich brauchte keine Sekunde, um zu bemerken, wie heiß sie war. Verflucht noch mal. Es musste ein Scherz sein, dass ausgerechnet ein Mädchen wie sie mir hier begegnete. Oder Rache des Schicksals. Vielleicht auch beides.

  »Was ich bräuchte, ist legal leider nicht zu haben«, gab ich endlich eine Antwort auf ihre Frage. Sie lachte und sah dabei noch hübscher aus als ohnehin schon.

  »Oha, so schlimm?« Ihr Akzent war eindeutig englisch und nicht schottisch. Ich erinnerte mich an den Campervan vor der Tür. Vermutlich war es ihrer.

  »Du hast ja keine Ahnung.« Ich lächelte. Es wäre besser gewesen, es nicht zu tun, aber ich konnte nicht anders.

  »Verstehe. Du bist also ein schwerer Fall.« Sie warf einen Blick in den Korb aus Metalldraht, den sie über dem Arm trug. »Dann bleibt wohl nur das hier.« Sie drückte mir eine Schachtel Edinburgh Rock in die Hand – buntes, bröckeliges Zuckerzeug, das bereits mit dem ersten Bissen Diabetes verursachte. Dass es diese Süßigkeit nur in Schottland gab, war sicher kein Zufall.

  »Du hast recht, das ist garantiert nicht legal.« Trotzdem nahm ich die Packung entgegen. »Danke. Vielleicht ist ein Zuckerkoma genau das, was ich jetzt brauche.«

  »Ja, und falls einem das Kokain ausgeht, kann man das Zeug immer noch zerpulvern und es sich in die Nase ziehen«, nickte sie ernst.

  Ich sah sie belustigt an. »Mach das lieber nicht. Das brennt wie die Hölle.«

  »Sag nicht, du hast …?«, fragte sie und lachte wieder. Himmel, wie konnte ein so simpler Laut derartig sexy klingen?

  »Einmal«, gab ich zu. Mein Cousin Finlay und ich hatten im Sommer vor fünf Jahren eine Menge Unsinn angestellt – Rock in die Nase zu ziehen war eines der harmloseren Dinge gewesen. »Aber das ist Jahre her. Ich war jung und dumm, wenn du das als Ausrede gelten lässt.«

  »Dann bist du jetzt vernünftiger? Sonst nehme ich es dir wieder weg.« Ein strenger Blick traf mich, aber ihr Lächeln verriet sie.

  »Viel vernünftiger«, versprach ich. »Zumindest, was Süßigkeiten angeht.«

  »Und wobei nicht?«

  Ich merkte, wie die Stimmung sich änderte, aber ich verhinderte es nicht. Sie war nur auf der Durchreise. Keine Gefahr. »Willst du das wirklich wissen?«, fragte ich und schaute ihr direkt in die Augen.

  Sie lächelte immer noch, aber jetzt war es nicht mehr belustigt, sondern interessiert. Mehr als interessiert. »Unbedingt«, sagte sie dann.

  Wir sahen einander an und mein Blick glitt über ihr Gesicht, um erneut an ihren hellbraunen Augen hängen zu bleiben. Keiner von uns sagte etwas, keiner rührte sich von der Stelle, stattdessen spürte ich, wie sich Hitze in mir ausbreitete. Es passierte nicht selten, dass mich eine Frau so ansah wie sie. Aber es geschah selten, dass in mir etwas darauf derartig reagierte. Oh ja, definitiv Rache des Schicksals.

  »Hier.« Carson unterbrach uns und drückte mir unsanft eine große Kiste mit Lebensmitteln in die Arme. Argwöhnisch sah er zwischen dem Mädchen und mir hin und her, dann deutete er mit dem Kinn zum Tresen. »Die Rechnung habe ich da vorne.« Abwartend sah er mich an und machte keinen Hehl daraus, dass er nicht verschwinden würde, bis ich mit ihm kam.

  »Sei vorsichtig mit dem Zeug«, sagte ich mit einem Wink auf die Süßigkeiten. Unter Carsons strengem Blick wagte ich kein Lächeln, sondern nickte nur knapp und wandte mich ab.

  »Klar doch«, antwortete sie und ihr Lächeln blieb, auch wenn das Verhalten des Ladenbesitzers sie zu irritieren schien. Dann nahm sie ihren Korb und ging in die andere Richtung davon. Vermutlich, um sich eine neue Packung Edinburgh Rock zu holen.

  Ich folgte Carson zum Tresen. Dort angekommen, funkelte er mich feindselig an. »Kaum bist du wieder hier, machst du da weiter, wo du damals aufgehört hast? Ist das dein Ernst? Hast du etwa nicht schon genug Schaden angerichtet?«

  Als er das zu mir sagte, griff eine dunkle Schwärze nach mir und presste meinen Brustkorb zusammen. Sofort verfluchte ich dieses Gefühl, diese Stadt und ihre Bewohner. Drei Jahre war ich ganz gut damit zurechtgekommen – ein bisschen Ablenkung, ein bisschen Reue und sehr viel Verdrängung. Aber kaum war ich wieder hier, fühlte ich mich wie ein Schwerverbrecher.

  »Klar«, murmelte ich. »Euer Urteil steht fest.«

  »Glaub mir eins, Henderson.« Carson sah mich finster an. »Wir werden nicht zulassen, dass so etwas wie vor drei Jahren noch einmal passiert, darauf kannst du dich verlassen. Du wirst kein nettes Mädchen mehr in den Abgrund reißen.«

  Ich hätte gern widersprochen, aber ich wusste, es war ihm egal. Er und die anderen hatten sich ihre Meinung gebildet. Und ich musste dafür sorgen, dass sie es vergaßen, wenn mein Plan nicht scheitern sollte. Also blieb mir nur die Flucht nach vorne.

  »Keine Sorge«, hörte ich mich sagen, »die Kleine ist nicht mein Typ. Sie ist hübsch, aber Mädchen wie sie interessieren mich schon lange nicht mehr.« Die Lüge kam mir ohne Zögern über die Lippen, die Worte waren abfällig ausgesprochen. Ich wusste mittlerweile, wie man schauspielerte. Ich hatte es gelernt.

  »Das sah aber anders aus.« Carson musterte mich skeptisch.

  »Ich wollte nur höflich sein«, schob ich so gelangweilt wie möglich nach. »Oder legt ihr auf so etwas in Kilmore keinen Wert mehr?« Was ich sagte, wirkte – Carsons Gesicht entspannte sich etwas. Die Schwärze in mir zog sich zurück und ich atmete auf.

  »Ich behalte dich im Auge, Henderson.«

  »Tun Sie das ruhig, Mister Carson«, gab ich zurück. Dann warf ich die Rechnung auf die Lebensmittel, nahm die Kiste und verließ so schnell wie möglich den Laden.

  4

  Kenzie

  Die Kleine ist nicht mein Typ. Sie ist hübsch, aber Mädchen wie sie interessieren mich schon lange nicht mehr.

  Ich hatte keine Ahnung, wieso diese Sätze mich so ärgerten. Trotzdem rotierten sie unaufhörlich in meinem Kopf, während ich meine Einkäufe bezahlte und sie zum Van trug. Man konnte nicht jedermanns Typ sein, das wusste ich, und es hatte mich nie gestört. Aber als der Fremde es gesagt hatte, da waren mir die Worte schmerzhaft in den Magen gefahren. Mädchen wie sie. Als wäre ich nicht gut genug für jemanden wie ihn.

  Dabei hatte ich mir nur einen Spaß machen wollen. Als ich den Kerl vor den Kühlschränken gesehen hatte, war mir das Gespräch mit meinem Dad in den Sinn gekommen – und sein lächerlicher Vorschlag, bei Carson’s die große Liebe zu finden. Um das zu widerlegen, war ich zu dem Fremden gegangen und hatte ihn mit genau dem blöden Spruch angequatscht, den meine Mum verwendet hatte. Mit allem danach hatte ich allerdings nicht gerechnet.

  Schon von Weitem war mir aufgefallen, dass der Typ gut aussah. Aber als er sich zu mir umgedreht hatte, war mir erst bewusst geworden, wie unfassbar gut. Es lag nicht nur an seinen klassischen Gesichtszügen, auch nicht an seiner Größe, der athletischen Statur oder an den tiefbraunen Haaren. Nein, was mich umgehauen hatte, waren seine Augen gewesen. Dunkle, nahezu schwarze Augen, die mich mit einer solchen Intensität gemustert hatten, dass mir kurz die Luft weggeblieben war. Dazu dieses Lächeln, ein bisschen schief, ein bisschen träge und damit wahnsinnig sexy. Und schließlich sein »Willst du das wirklich wissen?« in einer Tonlage, mit der man eindeutig jemanden in Schwierigkeiten bringen wollte. Himmel, ich hatte für einen Moment echt geglaubt, da wäre etwas – während er sich nur gedacht hatte, dass ich unter seinem Niveau war. Ich wollte nur höflich sein. Das war seine Begründung für unser Gespräch gewesen. Wie hatte ich mich so irren können? Normalerweise hatte ich ein besseres Gespür.

  Ich öffnete den Kühlschrank meines Campe
rs und legte Butter und Eier unsanfter hinein, als ihnen guttat. Vielleicht hatte der Typ recht. Vielleicht war ich nicht seine Liga. Aber es stank mir gewaltig, dass er das so herumposaunte. Und dann hatte er nicht einmal den Anstand, sich direkt als Snob zu outen – sondern stand in seinem schlichten schwarzen Shirt und Jeans da und flirtete mit mir, als wäre er ein normaler, netter Kerl mit Humor. Ein netter, verflucht heißer Kerl mit Humor. Gefährliche Mischung.

  Als ich aus der Seitentür des Vans stieg, um zur Fahrerseite zu laufen, sah ich mich nach ihm um – er war jedoch längst weg, nachdem er aus dem Laden gegangen war, ohne mich auf dem Lauschposten zu bemerken. Gut so. Kilmore war klein, aber so klein auch wieder nicht. Wenn ich schon nicht das Glück hatte, ihm nie wieder zu begegnen, dann doch wenigstens die Chance, ihm aus dem Weg gehen zu können.

  Mein Navi zeigte mir eine Fahrzeit von acht Minuten bis zu Paulas Haus an, und kaum saß ich im Auto, beruhigte sich mein Kopf und die verletzenden Worte des Fremden verabschiedeten sich aus der Endlosschleife. Das war das Magische an diesem Wagen – sobald man losfuhr, hatte man ein Gefühl von Ruhe und Frieden. Vor allem, wenn man durch diese Landschaft fuhr, die wilder und irgendwie gewaltiger war als bei uns im Süden. Die Hügel waren höher, der Wald dichter und es roch auch anders. Ich öffnete das Fenster und atmete die feuchte, frische Luft ein, während ich in einer Lücke zwischen den Bäumen einen Blick auf den nahe gelegenen Loch Lair und die dahinter beginnenden Highlands erhaschte. Sehnsucht zog an meinem Herzen, als ich die tiefgrünen Wälder und das dunkelblaue Wasser sah. All das erinnerte mich an meine Mum. Ich hoffte so sehr, dass ich tatsächlich Gelegenheit dazu bekam, in die Highlands zu fahren und dort zu übernachten.

  Erst einmal führte mich meine Tour jedoch durch Kilmore hindurch. Die Stadt war nicht groß, sie hatte nur etwa 5000 Einwohner, aber der Kern war ein Magnet für Touristen: Kleine, typisch schottische Häuser mit Steinfassaden von rötlich bis grau – und Geschäfte mit farbig gestrichenen, holzvertäfelten Schaufenstern und Eingängen. Ich sah das Old Arms , den ältesten Pub in der gesamten Gegend, dann den Spielzeugladen The Sparkling Unicorn , mehrere Klamottenläden, die Kiltschneiderei von Evan McDougal, dann den Buchladen Books in Love sowie einige Souvenirshops. Wenn ich an die Fotos und die Erzählungen von Mum dachte, hatte sich hier nicht viel verändert. Ich würde in den nächsten Tagen dringend eine Runde drehen müssen. Mein letzter Besuch in Kilmore war lange her und meine Erinnerungen kaum mehr als Bruchstücke.