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Wie alles begann Page 3
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Page 3
Alle lachten, auch Julius. »Und wieder einmal zeigt uns Code, warum eine gute Schulbildung so wichtig ist. Möchte noch jemand etwas beitragen?«
»Warum bist du hier?« Ein rothaariges Mädchen fixierte mich mit festem Blick.
»Ich … also …« Was sollte ich darauf antworten? Wollte sie hören, dass ich die Abkehr verfluchte? Um zu testen, ob ich das Recht hatte, hier zu sein? Ich sah zu Boden und suchte nach Worten.
Da rettete mich jemand. Aber diesmal war es nicht Jye.
»Das geht uns nichts an, Delta.« Ich schaute hoch und direkt in die Augen des dunkelhaarigen Jungen, dessen Lächeln erneut mir galt. Es verschwand, als er Delta wieder ansah. »Sie wird ihre Gründe haben, warum sie hier ist. Und die muss sie uns nicht verraten.«
»Ach nein? Und woher sollen wir dann wissen, ob sie uns nützt? Sie sieht aus wie eine, die eigentlich nur nach einer Selbsthilfegruppe sucht. Wir sind kein Stuhlkreis für irgendwelche Opfer.«
»Nein, dafür fehlen uns die Stühle«, antwortete der Junge sarkastisch. »Und außerdem sind wir alle Opfer. Du genauso wie ich oder sie. Also solltest du hier kein Verhör führen, sondern dich lieber freuen, dass wir wieder einer mehr sind.«
Delta schnaubte, aber sagte nichts. Julius nahm das zum Anlass, die Vorstellungsrunde zu starten. In den nächsten zehn Minuten hörte ich viele verschiedene Namen und versuchte, sie mit den entsprechenden Gesichtern zu verknüpfen. Leider musste ich davon ausgehen, dass ich die meisten wieder vergessen würde. Mein Gedächtnis war momentan ein Schweizer Käse. Zwar behauptete meine Mutter, dass es mit der Zeit besser werden würde, aber ich wusste nicht, ob ich darauf hoffen sollte.
Nachdem alle sich vorgestellt hatten, löste Julius die Runde auf und sagte mir, er müsse noch schnell etwas holen und wäre gleich zurück. Alle aus der Gruppe standen auf und liefen in verschiedene Richtungen, um Geräte aufzubauen und Matten auszulegen. Ich blieb unschlüssig stehen. Sollte ich helfen oder war ich dazu nicht eingeladen? Suchend sah ich mich nach Jye um. Aber der war mit dem Feenmädchen in ein Gespräch vertieft.
»Du gewöhnst dich noch an das Chaos«, sagte da jemand neben mir. Ich schaffte es, nicht zusammenzuzucken. Trotzdem wurden mir die Knie weich, als ich sah, wer es war. »Hi«, grüßte der Junge, der sich vorhin als Knox vorgestellt hatte. Seinen Namen hatte ich mir gemerkt. »Ich habe überlegt, ob ich dich ansprechen soll oder ob du dann wieder die Flucht ergreifst.«
Ich spürte, dass ich rot wurde. »Ich wollte nicht … ich hatte …«
»Hey, das war nur ein Witz. Ich wäre vermutlich auch weggelaufen, wenn mich irgendjemand Fremdes auf der Straße angequatscht hätte.« Er lächelte wieder und ich fasste genug Mut, um ihn etwas zu fragen. Solange ich mit ihm redete, konnte ich ihn immerhin ansehen, ohne dass ich wirkte wie eine irre Stalkerin.
»Du heißt Knox, oder? Wie Fort Knox?« Das war ein ungewöhnlicher Name. Aber was das anging, saß ich wohl im Glashaus.
»Es ist nur ein Spitzname«, antwortete er. »Eigentlich heiße ich Nicholas, allerdings sagt das hier niemand zu mir.«
»Weil du den Namen nicht magst?«
Er schien darüber nachzudenken. »Nein, Nicholas ist schon okay. Nur … seit ich bei ReVerse mitmache, bin ich irgendwie jemand anders. Dazu passte ein neuer Name.« Er lachte etwas verlegen. »Das klingt schräg, oder?«
Ich schüttelte schnell den Kopf. »Nein, überhaupt nicht. Ich verstehe, was du meinst.« Jemand anders zu werden, das war auch mein Plan. Ich wollte so gerne mein momentanes Ich loswerden. »Aber warum sagt man ausgerechnet Knox zu dir?« Eine gängige Abkürzung für Nicholas war das nicht.
»Ich denke, das findest du noch heraus, wenn du eine Weile bei uns bist.« Er grinste verschwörerisch. »Bereit für das Training?«
Zu einer Antwort kam ich nicht.
»Na, das hoffe ich doch.« Jye tauchte aus dem Nichts auf, in den Händen ein Paar Boxhandschuhe.
»Dann lass ich euch mal allein. Bis später.« Knox ließ erneut dieses umwerfende Lächeln sehen – das für jeden anderen sicher ein stinknormales Lächeln war, aber nicht für mich –, dann ging er zu Julius, der gerade mit ein paar Leuten ein Zirkeltraining aufbaute. Ich schaute mich um.
»Das macht ihr also hier? Sport?«
»Enttäuscht dich das?« Jye grinste.
Ein bisschen schon. »Ich dachte, es ginge mehr darum, wie man den König sabotieren kann. Damit wir die Abkehr beenden.« Wenn ich ehrlich war, hatte ich mich schon kopfüber von einem Dach hängen sehen, um irgendwo einzubrechen und Technologiekomponenten für eine Geheimoperation zu stehlen.
»Das ist das Ziel. Aber wie sagt Julius immer? Ein fitter Körper ist die Grundlage für jeden Widerstand. Also trainieren wir drei Mal die Woche, die Jüngeren am Nachmittag, die Älteren am Abend. Alles andere läuft zusätzlich – davon erfährst du, wenn es so weit ist.«
Damit konnte ich gegen das Training wohl nichts mehr einwenden. Auch wenn ich wenig Lust hatte, schwitzend im Kreis zu laufen – ich war viel zu neugierig auf dieses »alles andere«, von dem Jye gesprochen hatte.
Ich zeigte auf meine Sachen. »Kann ich mich irgendwo umziehen?« Die anderen trugen schließlich auch Sportkleidung.
»Oh, klar, entschuldige. Gleich da drüben, durch die Tür und dann rechts.«
Ich folgte den Hinweisen und kam nach wenigen Minuten zurück. Jye wartete auf mich.
»Zieh die an.« Er gab mir die Handschuhe und ich friemelte sie mit seiner Hilfe umständlich über meine Finger. Jye trat hinter einen Boxsack. »Na, dann zeig mal, was du draufhast.«
Ich hob die Hände und holte aus. Mein Schlag erzeugte kaum ein Geräusch. Der Boxsack dachte wahrscheinlich, eine Fliege habe ihn gestreift.
»Der Sack sollte zumindest merken, wenn du ihn haust«, witzelte Jye, als habe er meine Gedanken gelesen.
»Das sagst du so leicht, aber die hier wollen nicht.« Ich zeigte ihm meine dünnen Arme, deren Muskeln noch nie so richtig gefordert worden waren. Für alles, was ich bisher in meinem Leben gemacht hatte, brauchte man Power im Kopf, nicht im Körper.
»Ich habe doch gesagt, das hat etwas mit der Technik zu tun. Komm, ich zeig es dir.« Er trat neben mich und zeigte mir ganz langsam, wie ich den Arm ausstrecken und den Boxsack treffen musste. Dabei rutschte der Ärmel seines Shirts hoch und ich sah ein paar breite, dunkelrote Striemen. Erschrocken schaute ich ihn an.
»Jye, woher hast du das?«
»Oh, das …« Er schob den Ärmel herunter. »Das ist nichts. Ich wohne in dem Heim hinten am alten Industriegebiet. Dort gibt es immer mal wieder Ärger, aber ich kann mich ganz gut wehren.«
Wenn ich mir seine Statur anschaute, glaubte ich ihm das sofort. Aber Sorgen machte ich mir trotzdem. Aus diesen Heimen hörte man nur Schauergeschichten. Erst letzte Woche hatte mir mein Bruder Eneas erzählt, dass ein Junge von dort ins Medical Department gebracht worden war, weil ihm jemand den Kopf gegen eine Tischkante geschlagen hatte. »Kannst du denn nicht woanders wohnen? Bei Freunden oder so?«
Jye schüttelte den Kopf. »Das darf ich nicht. Knox’ Mum hat es mir schon angeboten, genau wie Julius, aber das Central Regulation Department … hat es abgelehnt. Man hält mich für politisch nicht ganz unbedenklich. Deswegen wollen sie nicht, dass ich in irgendeiner Familie lebe, die ich damit vielleicht infizieren könnte.«
»Das ist doch verrückt!«, sagte ich schockiert. »Wieso behaupten die so etwas?«
»Weil ich vorher im Androiden-Waisenprogramm war. Meine Eltern sind gestorben, als ich acht war. Seitdem wurde ich von Parent Bots aufgezogen, zumindest bis …«
»Bis zur Abkehr.« Ich sagte es leise, mehr zu mir selbst. Jetzt verstand ich, warum Jye hier war. Dagegen erschienen meine Gründe, gegen den König zu sein, fast schon lächerlich. »Das ist echt scheiße, tut mir leid.«
Er nickte, und ich sah den bitteren Ausdruck in seinen Augen. »Ich komme schon klar. Außerdem ist es nicht mehr so lange. In zwei Jahren bin ich 18, dann kann ich mir eine eigene Wohnung zuteilen lassen und allein leben.« Er gab sich einen Ruck und zei
gte auf den Boxsack. »Los, weiter geht’s. Denk nicht, du kannst dich drücken, indem du mich über meine traurige Vergangenheit ausfragst.«
»Für ein paar Minuten hat es geklappt«, erinnerte ich ihn und lächelte. Dann versuchte ich, das nachzumachen, was er mir gezeigt hatte. Es gelang eher mittelmäßig. Vor allem, weil mein Blick immer wieder von Knox angezogen wurde, der am anderen Ende des Raumes mit Julius Nahkampf übte. Was er da machte, sah ziemlich professionell aus.
Jye schien es aufzugeben, denn er trat neben mich. »Das ist aber nicht der Grund, warum du hier bist, oder?«, fragte er belustigt. »Der geheimnisvolle Fremde, der dich auf dem Pier in die Flucht geschlagen hat?«
Ich zog meine Augenbrauen zusammen. »Natürlich nicht. Ich bin keines von diesen Hihi-Mädchen, deren einziges Ziel es ist, irgendeinen Typen zu finden, den sie anhimmeln können.«
»Ich ziehe dich nur auf, Phee.« Jye lächelte. »Du hast vielleicht dünne Arme, aber man sieht dir an der Nasenspitze an, dass du motiviert bist. Genau das brauchen wir hier. Alles andere kann man lernen.«
»Na, dann los.« Ich eiste meinen Blick von Knox los, dann hob ich meine Hände und fixierte den Boxsack mit einem strengen Blick. »Bring es mir bei.«
KNOX
Am Ende des Trainings war ich nicht sehr viel besser am Boxsack als vorher und dazu noch ziemlich erledigt, aber der Zustand fühlte sich trotzdem gut an. Alle, sogar Delta, waren nett zu mir gewesen, und es fiel mir leicht, mit ihnen zu reden. Im Laufe der letzten zwei Stunden war eine Version von mir aufgewacht, von der ich gar nicht gewusst hatte, dass sie noch existierte. Und das machte mir Hoffnung. Hoffnung darauf, dass mein Leben mit der Abkehr doch nicht in einer Sackgasse gelandet war.
Ich verabschiedete mich von Jye und den anderen, dann verließ ich das Theater und machte mich auf den Weg zum nächsten Terminal. Abneigung gegen TransUnits hin oder her, heute war mein Körper nicht mehr in der Lage, nach Hause zu laufen.
»Hey Phee, warte mal!«, rief jemand.
Ich blieb stehen und drehte mich um. Knox joggte auf mich zu. Ausgerechnet!
»Hey«, murmelte ich ungelenk. Vielleicht konnte ich mit den anderen ganz entspannt umgehen, aber dieser umwerfende Junge war ganz klar eine Ausnahme. Abwartend sah ich ihn an.
»Hast du etwas dagegen, wenn ich dich begleite?«, fragte er und wirkte dabei fast ein bisschen schüchtern. Mein Herz schlug mir bis zum Hals – und eine ganz andere Hoffnung als zuvor stieg in mir auf.
»Nein, gar nicht.« Ich versuchte mich an einem Lächeln, das nicht völlig bescheuert aussah. Gleichzeitig setzten wir uns in Bewegung.
»Wie hat dir dein erstes Training gefallen?«
Ich sah ihn an und bemühte mich, trotz Sauerstoffmangels im Hirn ein paar Worte zusammenzusuchen. »Gut. Also, es war … interessant. Oder nicht interessant, eher spannend.« Ach, verdammt. Ich klang wie eine Lektion aus Idiotisch für Anfänger. Wahrscheinlich bereute Knox es längst, mir seine Begleitung angeboten zu haben.
»Ich hoffe, Jye war nicht zu streng mit dir«, sagte er.
»Nein, überhaupt nicht. Jye ist super.«
»Ja, das ist er. Er ist der beste Freund, den ich habe.«
Schon kam das Gespräch wieder zum Stillstand, und ich grübelte fieberhaft nach, worüber ich reden sollte. Wir liefen an den Buden entlang.
»Das ist schön. Freunde zu haben, meine ich.« Oh, brillant, Ophelia, wie eloquent du bist! Es klang lahm, und so, als wäre ich einsam. Ein einsames Mädchen, das keinen geraden Satz herausbrachte. Super.
Knox musterte mich. »Es ist sicher nicht leicht, irgendwo ganz neu anzufangen. Vor allem nach der Abkehr.«
»Nein«, gab ich zu. »Ist es nicht.« Ich sah, wie Knox über das Geländer des Piers strich, und mir fiel ein, dass ich ihn etwas fragen konnte, was ich mich bei Jye nicht getraut hatte.
»Hast du schon vor der Abkehr hier gelebt?« Er nickte. »Dann weißt du, wie es damals am Pier war, oder?« Der war schließlich mal das Aushängeschild für Victor Vale und seine Firma gewesen, die Nummer 1 der visuellen Unterhaltungstechnologie.
Knox’ Augen wurden groß. »Du kennst das alles gar nicht? Klar, du wohnst ja noch nicht lange in Brighton, aber warst du vorher nie hier?« Ich schüttelte den Kopf und er lächelte breit. »Hast du noch Zeit für eine Führung? Ich kenne den perfekten Aussichtspunkt, um dir zu zeigen, was es hier früher alles gab.«
»Ja, ich habe Zeit«, sagte ich und hatte das Gefühl, er müsste meinen rasenden Puls hören können. »Mich erwartet zu Hause niemand.« Mein Vater war schließlich mit nutzlosem Zeitvertreib beschäftigt und Eneas mit seinen Kumpels beim Zeichnen. Vor dem Abendessen würde mich keiner von ihnen vermissen. Außerdem – wenn wir ehrlich waren: Ich hätte auch jede Menge Ärger mit meiner Familie in Kauf genommen, nur um noch ein bisschen Zeit mit Knox zu verbringen.
»Dann komm mal mit.« Er änderte die Richtung und lief wieder an den Buden vorbei, dann am Theater und einer Reihe von kleinen Häuschen. »Hier wurden früher einmal virtuelle Haustiere und anderes Spielzeug verkauft«, erklärte er mir. »Ich hatte einen Hund, der fast nichts anderes gemacht hat als zu schlafen. Schwache Programmierung, aber dafür war er günstig.« Er lächelte schief, und ich spürte, dass ihm das alles genauso fehlte wie mir. Nicht wegen billiger virtueller Hunde. Sondern weil unser Leben insgesamt zum Stillstand gekommen war.
Wir erreichten einen Leuchtturm, der diesem Zweck sicher nie gedient hatte, denn er war nicht hoch genug und hatte oben einfach nur eine Plattform. Knox ließ mir den Vortritt und wir stiegen die Treppe hinauf. Oben angekommen lehnte er sich auf das Geländer und zeigte nach unten.
»Also, da vorne ist das Spukhotel, dort wurden die EyeLinks neu kalibriert, sodass man hinterher eine Geisterwelt sehen konnte. Da drüben war die Dschungel-Lounge, und was du da siehst, ist der 3V-Coaster. Man konnte damit jede Woche durch eine andere virtuelle Welt flitzen. Die letzte war eine Meereslandschaft. Jetzt sind aber nur noch die Wagen übrig.«
Sie waren immer noch auf der oberen Ebene des Stahlgerüsts zu sehen.
»Von dort hat man bestimmt eine tolle Aussicht«, mutmaßte ich.
»Ja, falls du raufkommst, ohne dir den Hals zu brechen«, lachte Knox. »Jye hat es letztes Jahr versucht und musste danach eine Woche zum NanoHealing. Allerdings war es nicht sein Hals. Nur der Fuß.«
Trotz seinen Worten fühlte ich mich in diesem Moment mutig genug, mir vorzustellen, dass ich es irgendwann versuchen würde. »Und was ist das da drüben gewesen?«, fragte ich dann und deutete auf ein rundes Gebäude mit einer Kuppel.
»Oh, das.« Knox strahlte. »Das Beste von allem. Die 3V-Sphere. Man hat spezielle Anzüge bekommen, die vollgestopft waren mit InterLinks, und dann konnte man auf dem Mond spazieren gehen. Das war total abgefahren, du hast richtig die Schwerelosigkeit gefühlt. Ziemlich teurer Eintritt, aber es hat sich echt gelohnt.«
Ich hatte von solchen virtuellen Welten gehört, aber leider nie eine besucht. »Klingt toll«, sagte ich etwas traurig und besah meine Hände, in denen schon seit zwei Jahren keine InterLinks mehr implantiert waren.
»War es. Und wir tun alles dafür, dass wir es zurückbekommen.«
Ich nickte. »Mal sehen, wann ich hilfreich dabei sein werde. Bisher bin ich ja eher ein trauriger Fall.«
»Ach Quatsch, hör auf.« Knox sah mich an. »Du lernst schnell, da bin ich sicher.« Unsere Blicke trafen sich und blieben aneinander hängen.
»Hoffentlich«, sagte ich mit einiger Verzögerung. »Ich bin schließlich hier, um etwas gegen den König zu tun.« Das hatte ich nämlich nicht vergessen, nur weil Knox vor mir stand. Alles andere zugegebenermaßen schon, aber das nicht.
»Du bist doch Andrew Scales Tochter, oder?«, fragte er. »Dann glaube ich nicht, dass du viel trainieren musst, um uns zu helfen.«
»Woher weißt du, wer mein Dad ist?« Verwundert sah ich ihn an.
Jetzt ließ Knox etwas erkennen, das eindeutig nach Zerknirschtheit aussah. »Von deiner Überprüfung.«
»Du hast mich überprü
fen lassen?« Ich wusste nicht, ob ich mich geschmeichelt oder beleidigt fühlen sollte. Dann hatten Julius und die andere Frau über mich geredet, als ich sie belauscht hatte. Darüber, dass ich überprüft worden war – bevor ich überhaupt den Wunsch geäußert hatte, bei ihnen mitzumachen. Auf Knox’ Veranlassung hin.
»Wenn du das so sagst, klingt es, als wäre ich ein Stalker oder so.« Knox sah unglücklich aus. »Dabei ist es nur die Standardprozedur für neue Leute bei ReVerse. Und irgendwie … irgendwie hatte ich so ein Gefühl, dass du zu uns passen könntest.« Er sah verlegen zu Boden. »Oder vielleicht habe ich es mir auch nur gewünscht.«
Ich wurde rot und ein warmer Strom flutete durch meinen Magen, breitete sich bis in meine Zehenspitzen aus. Knox hatte darauf gehofft, dass ich Teil von ReVerse werden würde. Das war die beste Nachricht des Tages.
»Bist du sauer?«, fragte er mich.
»Nein«, antwortete ich viel zu eilig. »Überhaupt nicht.« Wieder sah er mich an, und ich hatte das Gefühl, als würde ich in diesem Moment über den Mond spazieren – ganz schwerelos. Der Moment dauerte lang und länger, und irgendwann unterbrach ich den Blick, weil ich glaubte, dass Knox sonst all meine Gedanken und Gefühle daran würde ablesen können.
»Danke übrigens, dass du mir vorhin bei Delta geholfen hast«, sagte ich und sah hinunter auf den Pier.
»Nicht der Rede wert.« Knox schob die Hände in die Taschen. »Wenn du irgendwann davon erzählen willst, gut. Wenn nicht, auch gut. Bei ReVerse ist es egal, welche Gründe du hast. Solange du zu uns hältst, halten wir zu dir.«
»Der König hat mir meine Zukunft weggenommen«, sagte ich so schnell, dass ich mich selbst kaum verstand. »Ich habe jede Art von Technologie geliebt, ich habe für sie gelebt, schon seit ich ein kleines Mädchen war. Und jetzt … jetzt ist da nichts mehr. Deswegen werde ich tun, was immer ich kann. Solange wir nur die Abkehr damit beenden.« Dafür hätte ich alles gegeben. Weil Leopold mir alles weggenommen hatte, meinen Kopf, mein Leben, meine Pläne. Aber obwohl ich Knox gerne alles darüber erzählt hätte, durfte ich es nicht. Meine Eltern hatten es von Beginn an so gehalten und mir eingeschärft, niemandem von meinem optimierten Gehirn zu erzählen. Wobei optimiert seit der Abkehr wohl eher verkrüppelt bedeutete.