Die Sterne werden fallen Read online

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  »Fragt sich nur, wann die von dem Fehlschlag erfahren.« Jye deutete mit dem Kinn auf den Rest des Teams. Sein Blick war besorgt.

  »Wenn es so läuft wie die letzten Male, dann nicht so bald. Costard vermeidet es ja, über Misserfolge zu informieren. Er erzählt immer nur, wie toll alles läuft.« Ich rieb mir müde über die Stirn. Am liebsten hätte ich mich schlafen gelegt. Aber wenn man zu früh schlapp machte, hielten die anderen im Team einen für schwach. Das konnte ich mir nicht erlauben. »Ich weiß trotzdem nicht, wie oft wir diese Nummer noch abziehen können. Irgendwann wird die OmnI so weit sein, dass ihr ein schnellerer Zugriff auf die Versorgungszentren möglich ist.«

  »Dann bleiben immerhin noch die lokalen Sicherungen.«

  »Ja, aber auch die wird sie eines Tages überwinden.«

  Um den Zugang einer künstlichen Intelligenz wie der OmnI in das Datennetz unmöglich zu machen, hatte Leopold vor sechs Jahren mehrere Sicherheitsmaßnahmen ergriffen. Da es viel zu aufwendig gewesen wäre, alle Leitungen in ganz Europa aus dem Boden zu entfernen, hatte man sich darauf beschränkt, nur die MerchPoints zu entfernen. Diese einfachen Hardware-Elemente dienten als Kopplungen für verschiedene Arten von Datenleitungen und waren relativ simpel herzustellen. Dafür gab es nun die Quittung: Weniger gut ausgebildete Teams als unseres, meist Gruppen von Radicals, zogen durch das Land und setzten von Costard gebaute Points wieder ein. Dabei kam Maraisville ihnen regelmäßig in die Quere, aber wir hatten nicht genug Soldaten, um an allen Orten gleichzeitig zu sein. Es war ein Hin und Her, ein Kampf gegen die Zeit, ein Kampf, den die stärkste Truppe für sich entschied. Momentan gewann Maraisville ihn noch. Aber ich hatte Angst, was passierte, wenn das Blatt sich wendete. Wenn immer mehr Leute aus der Bevölkerung sich dem Widerstand anschlossen.

  Die MerchPoints waren jedoch nur eine Schwachstelle. Dann gab es noch die lokalen Versorgungszentren in den einzelnen Städten. Sie arbeiteten autark, wurden nun aber von ReVerse-Mitgliedern angegriffen, um dort die Hardware auszutauschen und alle Zentren an das Datennetz anzuschließen, damit die OmnI später Zugriff auf sie bekommen konnte. Und dann waren da noch wir – das Spezial-Team, das für die Angriffe auf alle wichtigen großen Energiezentren zuständig war. Es gab nur ein Team von unserer Sorte, und wir sollten den Zugang für die OmnI herstellen, damit sie Macht über die Energieversorgung der Menschen bekam. Diese Zentren waren die fragilsten Punkte der Infrastruktur. Da man sie nicht abschalten konnte, ohne das Volk in Dunkelheit versinken zu lassen, musste der König sie in Betrieb halten und trotzdem schützen.

  Der König.

  Lucien.

  Wie immer, wenn ich mir den Gedanken an ihn erlaubte, spürte ich einen tiefen Schmerz, der jeden Nerv meines Körpers erreichte. Weite Teile des Tages vermied ich es, an ihn zu denken, an meinen Lucien, nicht Lucien den König. Denn wenn ich es doch tat, wurde ich weich und schwach und vermisste ihn so fürchterlich, dass ich mich am liebsten heulend im Schnee zusammengerollt hätte, um dort auf mein Ende zu warten.

  Ich spürte Jyes Hand auf meiner Schulter. »Wie lange ist es her, dass du zuletzt mit ihm gesprochen hast?« Es wunderte mich längst nicht mehr, dass mein bester Freund genau wusste, woran ich gerade dachte. Das war seine Superkraft, sein sechster Sinn.

  »Viel zu lange«, erwiderte ich dumpf. Lucien und ich hatten an Weihnachten geredet, ein kurzes und zutiefst deprimierendes Gespräch. Nicht nur, weil wir einander vermissten, sondern weil Luciens Einsamkeit viel weiter ging. Er hatte seine Geschwister verloren und musste nun ohne die Hilfe seiner Familie einer Aufgabe gerecht werden, für die er nie vorgesehen gewesen war. Und ich konnte nicht für ihn da sein, weil ich ihn schützen musste. Nichts auf der Welt war mir wichtiger als die Sicherheit dieses Mannes, der mir so grausam fehlte und den ich so unglaublich liebte.

  Jye senkte die Stimme. »Vielleicht wäre heute ein guter Tag, um mit ihm zu reden. Gerade achtet niemand auf dich.« Und das war selten genug der Fall.

  Trotzdem schüttelte ich den Kopf. »Zu gefährlich.« Lucien mit mir zu verbinden war ein enormes Risiko für uns beide. Aber vor allem machte es nichts besser, wenn wir miteinander redeten. Seine Stimme zu hören holte nur meine Sehnsucht an die Oberfläche, die ich vor den anderen im Lager verbergen musste. Und er wurde daran erinnert, wie weit ich weg war.

  Jye nickte langsam. »Verstehe.« Das tat er wirklich. Seit sein Freund Tatius bei einem Angriff der OmnI auf ReVerse getötet worden war, wusste Jye genau, wie es sich anfühlte, jemanden zu vermissen, der unerreichbar war. Er versank eine Weile in Gedanken, riss sich dann jedoch zusammen und lächelte. »Es gibt aber auch gute Nachrichten. Heute sind es noch genau fünf Wochen bis zum Frühlingsanfang. Das Bibbern wird ein Ende haben. Wenn das kein Grund zur Freude ist.«

  Ich lachte. Es fühlte sich an, als hätte ich es beinahe verlernt. »Du weißt wirklich, wie man jemanden aufheitert.« Aber dann stockte ich. »Moment, fünf Wochen? Was ist heute für ein Tag?«

  »Der 15. Februar.« Jye sah mich an. »Warum?«

  Hastig stand ich auf. »Ich glaube, ich muss doch kurz weg … Kannst du mich decken?«

  »Immer.« Jye zeigte zu der Baumreihe, die in der Dunkelheit kaum noch zu erkennen war. »Geh am besten bis zu der Hütte, die ein paar Hundert Meter weiter im Wald liegt. Ich passe auf, dass dir niemand folgt. Wenn doch …« Er tippte sich kurz ans Ohr. Jye trug kein Implantat und war auch nicht direkt mit Maraisville verbunden. Aber wir hatten uns über die EarLinks einen eigenen Kanal für unsere Kommunikation eingerichtet.

  Ich passte einen Moment ab, in dem ich unbeobachtet war, dann lief ich schnell in den Wald und suchte im spärlichen Mondlicht nach der Hütte. Als ich sie fand, lehnte ich mich gegen die Außenwand und aktivierte meine InterLinks. Mittlerweile konnte ich selbst darüber bestimmen, wann Maraisville zusah und wann ich die Links abschaltete, um sie nicht früher oder später zu grillen. Ich war jetzt freiwillig ein Schakal, keine Gefangene mehr, die man überwachen musste. Das war aber auch die einzige Verbesserung meiner Lage seit den Geschehnissen im Bunker der OmnI.

  »Ophelia? Was ist los?« Imogen Lawsons Stimme ertönte in meinem Ohr. Sie musste im Überwachungsraum sein und gesehen haben, dass ich online gegangen war.

  »Nichts. Also, es ist nichts passiert. Ich wollte nur kurz … ist er gerade erreichbar?« Ich sagte Luciens Namen nie, ich hatte ihn nicht mehr laut ausgesprochen seit meiner Bitte an Imogen und Caspar Dufort, gut auf ihn aufzupassen. Das war fast drei Monate her.

  »Er ist oben, das letzte Meeting wegen der Krise im Norden ist erst seit zehn Minuten beendet. Seine Links sind deaktiviert. Soll ich ihn über sein Terminal kontaktieren?« Sie sagte es freundlich und verständnisvoll, als würde sie genau wissen, wie ich mich fühlte. Plötzlich brannte es in meiner Kehle.

  »Nein, ich … nicht nötig.« Zwar bekam ich nicht hautnah mit, wie viel Lucien arbeitete, aber ich konnte mir denken, dass er nicht oft zur Ruhe kam. Ich wollte ihn jetzt nicht stören.

  »Ophelia, ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte Imogen besorgt.

  »Ja, sicher.« Das Brennen in meinem Hals war hartnäckig. »Sag ihm … sag ihm alles Gute zum Geburtstag, okay? Und dass ich ihn vermisse.« Wie sehr, ließ sich nicht in Worte fassen.

  »Wenn du kurz warten kannst, dann sag ihm das selbst. Ich glaube, es täte ihm gut, dich zu hören.«

  »Bist du sicher? Vielleicht macht es das nur schlimmer.« Ich wusste, wie schwer es für Lucien war, an einem Tag wie heute allein zu sein. Ein Gespräch mit mir würde ihm nur noch deutlicher vor Augen führen, dass ich nicht da war.

  »Ich bin sicher«, sagte Imogen in einem Tonfall, den sie vermutlich auch bei ihrem Sohn Lynx anschlug, wenn es Zeit fürs Bett war.

  »Okay.« Wie hätte ich mich dagegen wehren können? Das wäre, als würde ein TechHead eine Gratis-Runde im 3V-Coaster ablehnen.

  Ich ging an der Wand der Hütte in die Hocke und schlang die Arme um meinen Körper, um mich zu wärmen.

  »Hey, Stunt-Girl.« Nur fünf Minuten später erklang Luciens Stimme. Sie war vertraut rau und s
ehr müde. Wie schon bei unseren letzten Gesprächen wirkte er erschöpft. Aber wie hätte es auch anders sein können? Mit gerade mal 23 Jahren lastete die Zukunft unserer Welt auf seinen Schultern – ein Erbe, das zu groß für jeden war, auch für einen so klugen und guten Menschen wie ihn. Vor allem in diesen Zeiten.

  »Hey.« Wie immer, wenn ich seine Stimme hörte, passierten zwei Dinge: Etwas in mir entspannte sich augenblicklich. Und gleichzeitig wurde mein Herz unter der Last meiner Sehnsucht fast erdrückt. Ich hätte alles dafür gegeben, ihn wenigstens kurz zu sehen, zu küssen, mich für eine Sekunde sicher in seiner Umarmung zu fühlen. Alles – außer seinem Leben. »Ich dachte, dein Geburtstag, wäre ein guter Grund, um d–«

  Da war ein Geräusch. Knirschende Schritte und das Knacken von vereistem Laub. Das konnte nur eins bedeuten: Ich war nicht länger allein. Und das wiederum hieß, mein Gespräch mit Lucien war in diesem Moment beendet.

  »Stunt-Girl? Alles okay?«

  Jedes weitere Wort hätte mich verraten, also antwortete ich nicht und deaktivierte mit eiserner Willenskraft meine InterLinks. Dann stand ich auf und trat aus dem Schatten der Hütte, die Hände in stummer Verzweiflung zu Fäusten geballt.

  »Phee? Was machst du hier draußen?« Ausgerechnet Knox war es, der meine Gelegenheit, mit Lucien zu sprechen, zerstört hatte. Sein berühmtes Timing war ihm auch nach dem Ende unserer Beziehung nicht abhandengekommen.

  »Das geht dich überhaupt nichts an«, sagte ich. Meine Stimme zitterte. »Ich frage dich ja auch nicht, was du hier treibst, oder?«

  »Ich rede jedenfalls nicht mit mir selbst.« Er blieb vor mir stehen und verschränkte die Arme. Wie immer, wenn ich ihn in letzter Zeit ansah, fragte ich mich, wie ich je in ihn verliebt gewesen sein konnte. Meinen Knox erkannte ich in ihm schon ewig nicht mehr.

  »Lass mich in Ruhe, Nicholas.« Ich bemerkte, dass er bei der Nennung seines vollen Namens leicht zusammenzuckte. Aber gerade war ich so sauer auf ihn, dass ich es als gerechte Strafe empfand.

  »Soll das jetzt immer so sein zwischen uns?« Knox sah mich unglücklich an. »Wir haben schon seit Wochen kein normales Gespräch mehr geführt.«

  »Wir sind ja auch nicht zum Reden hier, oder? Außerdem wüsste ich nicht, was wir uns zu sagen hätten.«

  Allein, um mich selbst nicht zu gefährden, hätte ich freundlicher sein sollen. Aber nicht nur deswegen. Es wäre fair gewesen anzuerkennen, dass Knox versuchte, Tote und Verletzte bei unseren Einsätzen zu vermeiden. Fair wäre es auch gewesen, seine Freundschaftsangebote endlich anzunehmen, statt sie immer wieder zurückzuweisen. Aber ich brachte es schon seit Wochen nicht mehr fertig, fair zu sein.

  »Ich wollte nur sagen … wenn du über Emile reden willst … oder über die Sache mit Troy … ich bin da.« Knox sah mich an.

  »Was zur Hölle sollte mich dazu bringen, mit dir über Emile oder Troy reden zu wollen?«, fragte ich genervt. Die offizielle Version der Geschichte war, dass Troy mich und »Emile« – der eigentlich Lucien gewesen war – bei unserem Auftrag für Costard angegriffen und Emile getötet hatte. Ich war nur entkommen, weil ich meinerseits Troy erschossen hatte.

  Eine riskante Story, denn schließlich war Troy der Anführer von ReVerse und wichtigster Verbindungsmann zu Costard gewesen. Mein Glück war, dass Troys Leiche nie an den Strand der Insel gespült worden war. Trotzdem hätte man misstrauisch werden können, aber Exon Costards Wissen um meine Verbindung zur OmnI und sein damit einhergehendes Eigeninteresse an mir war meine Du-kommst-aus-dem-Gefängnis-frei-Karte gewesen. Vielleicht war es ihm auch ganz recht gewesen, Troy los zu sein. Denn nun herrschte er allein mit der OmnI über ReVerse, unterstützt von seinen Verbündeten im Kampf gegen den König.

  »Tut mir leid, Phee. Es war blöd von mir zu glauben, dass du mit mir darüber sprechen willst. Schließlich hast du Jye, und das mit uns ist vorbei.« Knox schob die Hände in die Taschen und verschwand in Richtung Lager. Ich hielt ihn nicht auf. Stattdessen aktivierte ich meine InterLinks erneut, aber nur um mit dem verabredeten Zeichen – drei Finger nach oben, Handfläche nach innen – zu zeigen, dass alles in Ordnung war. Noch einmal Kontakt zu Lucien aufzunehmen, war in diesem Moment viel zu gefährlich.

  »Alles Gute zum Geburtstag«, sagte ich leise, während ich meine eiskalten Füße aus dem Schnee zog und mich auf den Rückweg machte. »Bitte vergiss mich nicht.« Ich hoffte, er hatte das gehört.

  Der Rest des Teams stand noch am Feuer, als ich zurückkam. Knox hatte sich zu ihnen gesellt, Jye fand ich an der Stelle, wo ich ihn zurückgelassen hatte.

  »Wolltest du mir nicht Bescheid geben, wenn mir jemand folgt?«, fragte ich mit einem Nicken in Richtung Knox.

  »Hat er … oh, verdammt, Phee, tut mir leid. Ich habe nicht bemerkt, dass er verschwunden ist.« Jyes Gesicht war finster.

  »Was ist denn los?«, fragte ich und setzte mich neben ihn.

  »Du hättest noch ein bisschen wegbleiben sollen«, antwortete er und deutete auf die Gruppe um Milan. »Sie sind mal wieder bei ihrem Lieblingsthema.«

  Scott Wulffs Stimme tönte zu mir herüber. »Ich hoffe ja, dass wir es sein werden, die eines Tages ins Juwel marschieren und seinem jämmerlichen Dasein ein Ende bereiten.«

  Torres schwenkte mit ihrem unverletzten Arm ein Pad. »Darf ich mich dann ein bisschen mit dem Messer austoben?«, fragte sie. »Schade um das Gesicht, aber hey, er hat es nicht besser verdient.«

  Sie zeigte auf eine Aufnahme, die ich auch aus dieser Entfernung und bei Dunkelheit erkannte. Seit Leopolds Tod war Lucien das Gesicht aller öffentlichen Bekanntmachungen, ein sehr ernstes Gesicht mit harten Zügen und streng dreinblickenden Augen. Maraisville hatte es so inszeniert, um die Menschen Luciens Jugend vergessen zu lassen und seine Stärke zu vermitteln. Ich hatte mir diese Aufnahme nur einmal kurz angesehen und dann nie wieder. Die Person darauf hatte nichts mit dem Lucien zu tun, den ich kannte.

  »Ich finde, wir sollten ihn alle ein bisschen leiden lassen, bevor wir ihn umlegen«, sinnierte der andere Wulff-Bruder. »Also stell dich hinten an, Torres.«

  »Stell du dich doch hinten an, Cabrón.«

  »Ihr könnt euch alle hinten anstellen«, verkündete Milan streng. »Schließlich bin ich der Anführer dieses Teams, also habe ich den Vortritt, wenn es darum geht, den König leiden zu lassen. Vielleicht hänge ich mir seine hübschen Haare ja als Skalp an die Wand.«

  Ein Johlen war die Antwort auf diesen Vorschlag. Beleidigungen und bunt ausgeschmückte Todesdrohungen waren unter Costards Leuten an der Tagesordnung. Normalerweise steckte ich das weg, indem ich mir vorstellte, wie ich jedem von ihnen den Hals umdrehte. Aber nachdem Knox mir mein Gespräch mit Lucien versaut hatte, war ich dünnhäutiger als sonst.

  »Nicht, Phee. Reiß dich zusammen. Du hilfst ihm damit nicht.«

  Ich merkte erst, dass ich aufgestanden war, als Jye mich am Arm packte.

  »Wenn ich sie einfach alle erledige, dann schon«, knurrte ich. Schon oft hätte ich Maraisville fast darum gebeten, das ReVerse-Team aus dem Verkehr zu ziehen. Nur hätte ich damit meine wichtigste Informationsquelle verloren und nichts mehr gegen die OmnI tun können.

  »Ich habe aber keine Lust, zehn Leichen zu begraben.« Jyes Hand blieb an meinem Arm. »Also tu mir den Gefallen und lass sie am Leben. Zumindest noch eine Weile.«

  Jemand rief zu uns herüber.

  »Hey, Eadon, was habt ihr da eigentlich für eine Privatparty am Laufen?«, fragte Scott Wulff.

  »Wenn ich dir das sagen würde, wäre sie nicht mehr privat, oder?«, gab Jye zurück. Ich sah, wie Knox uns einen Blick zuwarf. Er und ich hängten es nicht an die große Glocke, dass wir mal ein Paar gewesen waren, nur Milan wusste es von Costard. Die anderen unterstellten deswegen eher Jye und mir in schöner Regelmäßigkeit, mehr zu sein als Freunde. Uns kümmerte das nicht. Solange sie respektierten, dass wir aufeinander aufpassten, war es uns egal, was sie über uns dachten. Sogar bei Knox. Jye versuchte zwar, die Freundschaft mit ihm aufrechtzuerhalten, was ihm leichter fiel als mir. Aber wenn man genauer hinsah, hatten die beiden sich lä
ngst voneinander entfernt.

  Milan und die anderen ergingen sich weiter in ihren Mordfantasien, und bevor sie auf die Idee kommen konnten, mich einzubeziehen, wandte ich mich ab.

  »Ich gehe ins Bett.« Zwar erinnerte ich mich gut an Caspar Duforts Lektionen und dass man sich an seine Zielpersonen anpassen musste, um sie zu täuschen, aber heute hatte ich dafür keine Kraft mehr. Morgen würde ich dann wieder auf die Abkehr schimpfen und die Entscheidungen des Königs verteufeln. »Gute Nacht. Wenn du doch noch Lust hast, ein paar Leichen zu verscharren, weck mich.«

  »Gute Nacht, Phee.« Jye lächelte, den Blick auf etwas hinter mir gerichtet. Ich sah, dass Knox sich aus der Gruppe gelöst hatte. In dem Moment, als er bei Jye ankam, zog ich die Tür des Containers hinter mir zu.

  3

  Am nächsten Morgen wurde ich sehr früh wach und schälte mich nur unwillig aus dem Schlafsack – dem einzigen Ausrüstungsgegenstand, der halbwegs warm hielt. Die anderen Pritschen im Container waren alle belegt, der Rest des Teams schlief noch. Ich schlüpfte in meine Jacke und die Stiefel und schlich leise zur Tür.

  Es war noch dunkel, aber die frische Luft tat mir nach dem schlafschweren Dunst im Container gut. In spätestens einer halben Stunde würde ich wieder bitterlich frieren und den Winter verfluchen, aber jetzt war ich dankbar für die Stille.

  Gemächlich schlenderte ich zum Gasofen und schaltete ihn ein. Dann setzte ich mich davor und sortierte meine Gedanken. Wie früher war der Morgen auch jetzt der einzige Moment des Tages, wo ich ganz ich selbst sein durfte. Ich dachte an Lucien und daran, wie gut es gestern getan hatte, seine Stimme zu hören – und verdrängte den Ärger darüber, dass ich nicht mit ihm hatte reden können. So schaffte ich es, dass sich ein winziges bisschen Frieden in mir ausbreitete. Nur ein Funke, aber der reichte, um nicht durchzudrehen.

  Der Frieden hielt jedoch nicht lange an. Keine halbe Stunde später flog die Tür des ComContainers auf und Milan Kovacs trat heraus. Der Teamleader ging zum Schlafcontainer und riss am Griff der Tür.