Wie alles begann Page 2
Mit meiner Umhängetasche, in die ich die Sportsachen aus der Schule gepackt hatte, trat ich aus dem Haus und ging die Straße hinunter. Der Spielplatz an der Ecke war ziemlich überfüllt: Kleine Kinder tobten sich an den nagelneuen Geräten aus, ihre Eltern saßen am Rand und sahen dabei zu. Was für ein trostloses Leben, dachte ich, als ich einen kleinen Jungen dabei beobachtete, wie er auf der Schaukel vor- und zurückschwang. Aber vielleicht war er glücklich, korrigierte ich mich dann. Schließlich kannte er nur diese Welt. Eine Welt ohne Technologie.
Wie es in Brighton vor der Abkehr gewesen war, wusste ich nicht. Mein Vater stammte zwar aus dem ehemaligen Königreich, aber wir hatten seit meiner Geburt in der Nähe von Paris gelebt und waren nur selten auf der Insel gewesen – und dann meist in London. Daher hatte ich keine Ahnung, ob es in Brighton schön gewesen war, bevor man die Küstenstadt wie den Rest des Landes von Technologie befreit hatte. Jetzt jedenfalls wirkte sie wie ein ausgeweideter Leichnam. Überall waren noch die Reste früherer Zeiten zu sehen: leere Anschlussschächte in den Wänden, verlassene Technikbauten, weiße Flächen an den Gebäuden, wo früher über die EyeLinks jedem Einzelnen personalisierte Werbung angezeigt worden war.
All die früheren Unterhaltungszentren, vor allem am Pier und in der Innenstadt, waren stillgelegt oder zu Begegnungsstätten umgerüstet worden. Die wurden so gut angenommen wie die Spielplätze, wenn auch meist von älteren Leuten, die besser damit zurechtkamen, dass ihr Leben nun vollständig analog ablief.
Es begann zu nieseln, und ich zog die Kapuze meiner Jacke über den Kopf. Der April machte wirklich, was er wollte. Vor zwei Stunden war noch sonniges Wetter gewesen, nun zogen tiefgraue Wolken über den Himmel. Ich musste etwa 20 Minuten von unserer Wohnsiedlung bis zum Pier laufen. Ob ich doch eine TransUnit nehmen sollte? Eigentlich scheute ich die öffentlichen Transportmittel, sie erinnerten mich zu sehr an das, was ich früher gehabt hatte und jetzt fort war. Aber als der Nieselregen sich zu einem ausgewachsenen Wolkenbruch mauserte, war es entschieden. Ich wollte schließlich nicht wie ein begossener Pudel im Theater auftauchen. Schließlich konnte es sein, dass er doch da war.
Ich rannte zum nächsten öffentlichen Terminal und hielt mein Handgelenk davor. Auf dem Screen erschien meine Kennung und ich nannte den Zielort. Es war genug Zeit, darüber nachzudenken, wie unglaublich rückständig diese Technik war, bis die TransUnit endlich neben mir hielt. Ich schüttelte das Wasser von meiner Jacke, dann stieg ich ein.
Eine Gruppe von Leuten saß hinten, aber ich beachtete sie gar nicht, vermied jeden Blickkontakt. Stattdessen setzte ich mich direkt in die vorderste Reihe und nahm die Kapuze herunter.
»Seht mal, wer da ist. Die Neue.« Eine boshafte Stimme drang an mein Ohr. Sofort bereute ich, überhaupt eingestiegen zu sein. Das war Brutus McVeil und sein Name war Programm. In der Schule schikanierte er Leute wie mich den lieben langen Tag. Erst gestern hatte ich eine Antwort auf eine Frage des Lehrers nicht gleich gewusst und mir damit den Spott von Brutus und seiner Clique eingehandelt.
Oft musste ich länger über Antworten auf Fragen nachdenken oder kam nur mühsam auf ein Ergebnis. Mein Vater sagte zwar, dass ich mit dem HeadLock immer noch über dem Durchschnitt meines Alters lag, was die Intelligenz anging. Aber ich kam mir vor wie der dümmste Mensch auf Erden. Früher hatte ich sofort alles verstanden, analysiert, hatte Lösungen in Sekunden gefunden, Menschen noch schneller durchschaut. Jetzt sah ich jemandem ins Gesicht und wusste nicht, ob er ehrlich war oder nicht, ob das Lächeln falsch, die Worte verlogen waren. Deswegen blieb ich lieber für mich.
Ich zog den Kopf ein und sank tiefer in den Sitz. Wenn ich nicht reagierte, gab Brutus vielleicht Ruhe.
»Hörst du mich nicht, Ophelia?«, fragte er. »Bist du nicht nur doof, sondern auch noch taub?« Seine Freunde lachten. Ich hörte Schritte und wusste, er kam zu mir nach vorn. Wie weit war es noch zum Pier? Zu weit.
Brutus trat hinter mich und riss an meiner Kapuze. Ich sprang auf und drehte mich zu ihm um. In einer anderen Zeit hätte ich jemanden wie ihn in Sekunden mundtot gemacht. Aber jetzt fiel mir nichts ein. Also starrte ich ihn nur an, vermutlich weniger wütend als ängstlich. Meine Finger umklammerten mein Handgelenk, als würde ich Halt finden an meinem WrInk, dem einzigen Stück Technik, das mir geblieben war. Brutus folgte meinem Blick.
»Gott, du bist so ein TechHead, oder? Eine von denen, die ohne Technologie nicht leben können und ihren Links und Layern nachheulen. Ihr seid so erbärmlich.«
Ich brachte immer noch kein Wort heraus.
»Hey, Großmaul«, sagte da jemand anders. »Wie wäre es, wenn du das Mädchen in Ruhe lässt?«
»Wie wäre es, wenn du dich um deine Angelegenheiten kümmerst, Eadon?«, gab Brutus zurück, ohne mich aus seinem Blick zu entlassen.
»Das ist meine Angelegenheit«, vervollständigte mein Retter den Mackerdialog des Tages. »Sie ist eine von uns.«
Überrascht sah ich auf, als er das sagte – denn ich kannte den Typ nicht. Er war älter als ich, dazu bestimmt über 1,90, hatte mittelbraune Haare und ein breites Kreuz. Sein Blick war bedrohlich, allerdings galt der nicht mir. Sie ist eine von uns, hatte er Brutus gewarnt. Das hatte schon lange niemand mehr über mich gesagt.
»Na, jetzt habe ich aber richtig Angst. Wenn die Theatergruppe anrückt, sollten wir alle in Deckung gehen.« Brutus’ Stimme klang abfällig, aber wenn mich nicht alles täuschte, war sein Gesichtsausdruck weniger selbstsicher als vorher. Und das Echo seiner Kumpanen deutlich schwächer.
Der fremde Junge lachte. »Ich glaube nicht, dass du dich mit Julius Knight anlegen willst, McVeil. Selbst dir sollten deine drei verbliebenen Gehirnzellen sagen, was für eine schlechte Idee das ist. Und deswegen ist hier Endstation für dich.« Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern drückte den Nothalteknopf und stieß Brutus kurzerhand aus der offenen Tür auf den nassen Gehsteig. Dann drehte er sich zu den anderen um. »Noch jemand? Oder verschwindet ihr freiwillig?«
Einige schienen zu überlegen, ob sie sich mit dem großen Kerl anlegen sollten, aber dann eilten sie doch wie die sieben Zwerge einer nach dem anderen hinaus. Der fremde Junge und ich blieben allein zurück, er drückte wieder auf den Knopf und die Tür glitt zu. Als wir weiterfuhren, setzte er sich.
»Hi. Ich bin Jye.« Er lächelte mich breit an.
»Phee.« Ich erwiderte das Lächeln schüchtern. »Danke. Für deine Hilfe. Ohne dich …«
»Ohne mich hättest du ihm einfach selbst in den Arsch getreten«, sagte Jye. »Warum hast du ihm nicht ein paar Takte gesagt? Du wirkst nicht wie jemand, der sich von Typen wie McVeil ärgern lässt.«
Ich hob die Schultern. »Früher nicht. Aber seit zwei Jahren ist das anders.«
Jye seufzte. »Ja, die Abkehr hat uns allen zugesetzt.« Er sagte es auf eine Art, die mich neugierig machte. Wie hatte ihm wohl der König das Leben versaut? Was hatte Leopold de Marais ihm weggenommen, dass er jetzt so traurig schaute? Trotzdem hakte ich nicht nach. Wir kannten uns nicht, es kam mir nicht richtig vor.
»Freust du dich auf dein erstes Treffen?«, fragte Jye stattdessen mich.
»Ja, sehr. Wenn ich jetzt noch wüsste, was ihr da eigentlich –«
»Hey, da ist ja Martha!« Jye winkte begeistert aus dem Fenster. Ich folgte seinem Blick und sah nur eine alte Dame, die den Gehsteig entlangging und den Kopf schüttelte, als sie das Gefuchtel von Jye sah. Ich schaute ihn verwirrt an, aber er behielt seinen Gesichtsausdruck bei, bis wir kurz darauf hielten und ausstiegen. Der Regen hatte aufgehört.
»Was war das denn?«, fragte ich, während wir über den nassen Asphalt liefen. Vielleicht war diese Gruppe, zu der ich unterwegs war, ja auch einfach ein Auffangbecken für Irre. Wer wusste das schon?
»Entschuldige den Zirkus«, sagte Jye. »In einer TransUnit redet man über manche Sachen besser nicht. Keiner weiß so genau, ob sie überwacht werden.« Das hatte ich nicht geahnt. Aber es war dem König zuzutrauen.
»Woher wusstest du eigentlich, wer ich bin?«, fragte ich. Schließlich waren wir uns noch nie begegnet. Jye war
nicht bei der Gruppe gewesen, die ich verfolgt hatte.
Jye sah mich an. »Julius hat gesagt, dass jemand namens Ophelia uns heute beehrt. Und als Brutus deinen Namen sagte, dachte ich mir, dass du das sein musst. Wie hast du es denn geschafft, unseren Boss so zu beeindrucken, dass er dich einlädt?«
»Ich glaube nicht, dass ich ihn beeindruckt habe.« Ich verzog das Gesicht. Ob ich Jye davon erzählen konnte? »Ehrlich gesagt … habe ich mich reingeschlichen, gestern, als ihr euer Treffen hattet.«
»Wow!« Jye grinste. »Klasse. Normalerweise ist der stockdüstere Vorraum Abschreckung genug, damit sich niemand bis zum Großen Saal verirrt.«
Ich merkte, dass ich mich entspannte. Jye schien mich nicht für ein Risiko zu halten, nur weil ich sie ausspioniert hatte. »Außerdem reden wir im Saal über nichts Wichtiges«, schob er noch nach. »Das ist Teil unserer Sicherheitsmaßnahmen.«
»Ja, das habe ich gemerkt.« Schließlich hatten sie nur über den Clearing-Nachbarn des Mädchens geredet, was nicht verboten war – und dann über ein Stück gesprochen, ganz wie man es von einer Theatergruppe erwarten konnte.
Jye hob seine Schultern. »Man kann heutzutage nicht vorsichtig genug sein. Wir brauchen nur einen, der die Klappe nicht halten kann und schon löschen sie uns allen ein paar Jahre.«
»Aber … was genau tut ihr denn? Wozu braucht ihr überhaupt Sicherheitsmaßnahmen?« Ich konnte nicht widerstehen, Jye das schon vor dem offiziellen Treffen zu fragen. Leider enttäuschte er mich.
»Geduld, junge Lady«, sagte er mit dem Tonfall eines alten Mannes. »Das erfährst du noch früh genug. Aber eins kann ich dir versichern.« Er senkte seine Stimme. »Wenn du willst, dass die Abkehr endet, dann bist du bei uns genau an der richtigen Stelle.«
Ich schnappte nach Luft. Also war mein Wunschtraum tatsächlich wahr geworden: Es gab Menschen, die sich nicht mit den Entscheidungen des Königs abfinden wollten. Bevor ich Jye aber noch mehr Details entlocken konnte, redete er schon weiter. »Oh, und falls du Brutus beim nächsten Mal zeigen willst, dass er sich nicht mit dir anlegen sollte, bringe ich dir gerne ein paar Kniffe bei.«
»Ich glaube, damit ich ihm eine verpassen kann, müsste ich wohl so stark werden wie du. Und so viele Steroide gibt es nicht auf der Welt.« Ich hielt meinen Arm neben seinen. Es sah ungefähr so aus, als hielte man einen Finger neben einen Oberschenkel. Als müsste ich unter der Herrschaft von Leopold hungern, was nicht der Fall war. Ich war einfach immer schon schmal gewesen und Muskeln hatte ich nie gebraucht. »Beweis erbracht.«
Jye lachte. »Es kommt nicht auf Kraft an, sondern auf die richtige Technik. Ich zeig’s dir nachher beim Training. Das macht Spaß, glaub mir.«
Ich wollte nicht erneut widersprechen, also lächelte ich nur und freute mich darüber, dass ich ein ganz normales Gespräch mit jemandem geführt hatte, den ich nicht kannte. Jye war nett und er gefiel mir, aber nicht auf eine Weise, dass mir in seiner Gegenwart warm wurde. Deswegen war es leicht, mit ihm zu reden. Aber kaum dachte ich an dieses Thema, fiel mir der andere Junge wieder ein und die Wärme kam zurück.
Wir gingen gemeinsam vom Terminal in Richtung Pier. An der Promenade saßen vereinzelt ein paar TechHeads vor der niedrigen Mauer auf dem Boden und starrten stumm vor sich hin. Sie trugen abgetragene Kleidung und sahen aus wie Penner, was sie im Grunde auch waren. Ihr Protest gegen den König bestand darin, sich seiner Unterstützung zu verweigern – sie nahmen kein Essen oder Kleidung aus den Supply-Stationen an und lebten in keiner der mittlerweile verstaatlichten Wohnungen. Viele betrachteten die TechHeads verächtlich, so wie Brutus, aber mir taten sie einfach nur leid. Sie waren so abhängig von Technologie gewesen, dass die Abkehr sie psychisch gebrochen hatte, auf eine so tiefe, schmerzhafte Weise, dass sie zu nichts mehr in der Lage waren. Nicht selten nahm sich einer von ihnen das Leben, indem er nachts vom Pier ins pechschwarze Wasser sprang und ertrank.
»Schlimm, oder?«, murmelte Jye, während wir an einem der TechHeads vorbeigingen. Ich konnte hören, wie der Mann etwas vor sich hin brabbelte, das von seinem zerfetzten Verstand zeugte. »Klar, sie waren vorher Süchtige, aber dass man sich jetzt nicht um sie kümmert, ist eine Schande.«
»Ja, ist es.« Ich wusste, es gab Medikamente, welche die Symptome lindern konnten. Aber warum hätte der König sie verabreichen sollen? Die TechHeads waren wandelnde Reklametafeln für die Abkehr – abschreckende Beispiele, was Technologie aus uns Menschen machen konnte. Sie zu therapieren, hätte ihm keinen Vorteil gebracht. Und der war schließlich alles, was ihn interessierte.
Wir ließen die Promenade hinter uns und bogen auf den Anleger ein. Früher musste der Pier eine bunte Zauberwelt gewesen sein, aber heute war es hier eher trostlos. Die ganzen Fahrgeschäfte hatte man wie den Rest des Landes von ihren technologischen Bestandteilen befreit und nun standen sie herum wie Skelette einer längst verstorbenen Spezies, denen Salzwasser und Wind allmählich zusetzten. Auch die vielen Stände, die früher Essen verkauft haben mussten, waren jetzt verlassen und leer geräumt.
»Warst du schon vor der Abkehr in Brighton?«, fragte ich Jye, der zielstrebig auf das Theater zuging.
»Ja.« Er nickte. »War ich.«
Ich traute mich nicht nachzufragen, wie es gewesen war – der schmerzerfüllte Ausdruck auf Jyes Gesicht war Antwort genug.
»Komm«, sagte er da auch schon. »Wir sind spät dran.« Er zog die Tür auf, durch die ich das Theater gestern verlassen hatte, und machte eine einladende Geste. »Hereinspaziert, Milady. Sie werden erwartet.«
REVERSE
Einen Moment zögerte ich, als ich den schwach beleuchteten Gang sah, der direkt zum Theatersaal führte. Wenn ich dort hineinging, gab es kein Zurück mehr. Wollte ich das wirklich? Mich mit dieser Gruppe von Leuten treffen, die wahrscheinlich genauso gegen die Abkehr waren wie ich? Ja!, rief eine Stimme in meinem Innern. Ich hatte völlig vergessen, dass sie so begeistert klingen konnte. Ja, klar willst du das!
Beflügelt davon setzte ich einen Fuß über die Schwelle, dann den zweiten. Ich folgte Jye durch den Gang und kam schließlich an der Bühne heraus. Allerdings war sie anders als gestern leer, niemand war zu sehen.
»Wo sind denn alle?«
Jye stieg auf die Bühne und reichte mir die Hand, um mich hochzuziehen.
»Dort, wo wir offen reden können.« Er ging zu der Tür an der Rückseite der Bühne und öffnete sie.
Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte, aber der Raum dahinter war ziemlich unspektakulär. Er sah aus wie eine kleine Turnhalle, mit grauem Linoleumboden und weißen Wänden. Von der Decke baumelten Seile und Sandsäcke, neben mir lag ein Stapel Matten, der sogar Jye überragte. An der Stirnseite hing die gekreuzte Lilie, das Zeichen des Königs. Ich musste grinsen: Jemand hatte sie auf den Kopf gedreht.
Dann wanderte mein Blick tiefer und mein Herz rutschte gleich mit. Denn dort, unter der Lilie, saß etwa ein Dutzend Teenager im Kreis. Neugierig flogen ihre Köpfe herum, als sie uns bemerkten. Meine Hände wurden feucht. Plötzlich hatte ich den dringenden Wunsch, wieder zu verschwinden.
Automatisch trat ich einen Schritt zurück – und stieg dabei Jye auf den Fuß. Der jaulte und zog damit Julius’ Aufmerksamkeit auf sich. Der blonde Anführer hatte mit dem Rücken zu uns gesessen und wandte sich nun um.
»Ah, da seid ihr ja, schön. Wir wollten gerade anfangen. Setz dich, Jye. Ophelia, kommst du zu mir?«
Ich hätte gern verneint, aber da mich alle ansahen, wollte ich nicht kneifen. Also machte ich ein paar unsichere Schritte in seine Richtung und nahm schließlich neben ihm Platz. Die Meute musterte mich, und ich sah mir ihre Gesichter an, die neugierig waren, aber nicht ablehnend. Fast hätte ich mich ein bisschen entspannt, aber dann sah ich ihn. Er saß im Schneidersitz direkt gegenüber, den Blick auf mich gerichtet, aufmerksam und abwartend. Ich spürte ein Flattern in meinem Magen. Als er mich anlächelte, wurde es stärker.
Da begann Julius neben mir zu sprechen.
»Leute, das ist Ophelia. Sie ist erst vor ein paar Monaten nach Brighton gezogen und ist mir gestern quasi vor
die Füße gefallen. Ophelia, das sind die anderen. Ihre Namen sagen sie dir sicher gern gleich selbst.« Er lächelte, als er mich ansah. »Wir nennen uns ReVerse. Und wie du sind wir keine Fans der Abkehr.« Dass sie auch keine Fans von Leopold de Marais waren, verschwieg er. Und auch sonst sagte er nichts zu den Absichten von ReVerse, und ich vermutete, das war ebenfalls Teil der Sicherheitsmaßnahmen. Noch wussten sie nicht, ob man mir trauen konnte. »Möchtest du uns etwas über dich erzählen?«
Ich wollte schon den Kopf schütteln, dann rief ich mich zur Ordnung. Diese Gruppe von Leuten dachte genauso wie ich, sie hatten Ähnliches erlebt und sie wollten etwas dagegen unternehmen. Wenn ich vor ihnen nicht ehrlich sein konnte, vor wem denn dann?
»Ich … ich heiße Ophelia«, begann ich zögernd. »Aber eigentlich sagt man Phee zu mir, denn ich mag meinen Namen nicht besonders. Ich bin 14 Jahre alt und wohne seit zwei Monaten hier in Brighton und … soll ich noch mehr erzählen?« Hilfe suchend warf ich Julius einen Blick zu.
»Du kannst, aber du musst nicht.«
»Wo kommst du her?«, fragte da ein Mädchen rechts von mir. Sie war recht klein und hatte braune Haare, die zu einem straffen Zopf zurückgebunden waren. Ein bisschen erinnerte sie mich an eine Fee. Oder eine Elfe. Ihr Lächeln war jedenfalls freundlich und es fiel mir nicht schwer zu antworten.
»Wir haben eine Stunde nordwestlich von Paris gewohnt. Der Ort heißt Giverny, aber wahrscheinlich kennt den niemand von euch.«
Ein dünner Junge links von Julius blickte auf. »Ist das nicht da, wo dieser verrückte Seerosen-Typ gewohnt hat?«